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Niemalsland

Titel: Niemalsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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blinken.
    »Schlechte Nachrichten?« fragte das Mädchen.
    Sie stand gleich hinter ihm, in der winzigen Küche, den Arm sauber bandagiert. Sie war gerade dabei, Teebeutel herauszuholen und sie in Becher zu legen. Das Wasser kochte.
    »Ja«, sagte Richard. »Sehr schlechte.« Er ging zu ihr hinüber und gab ihr das HABEN SIE DIESES MÄDCHEN GESEHEN?-Plakat. »Das bist doch du, oder?«
    Sie zog eine Augenbraue hoch. »Das auf dem Foto bin ich.«
    »Dann bist du … Doreen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin Door, Richardrichardmayhewdick. Milch und Zucker?«
    Richard verlor jetzt fürchterlich den Boden unter den Füßen. Und er sagte: »Richard. Nur Richard. Keinen Zucker.« Dann fragte er: »Sag mal, wenn die Frage nicht zu persönlich ist, was ist eigentlich mit dir passiert?«
    Door goß das kochende Wasser in die Becher. »Besser, du weißt es nicht«, sagte sie einfach.
    »Ach so, tut mir leid, wenn ich – «
    »Nein. Richard. Ehrlich, es ist besser, du weißt es nicht. Es würde dir nichts nützen. Du hast jetzt schon mehr getan, als gut war.«
    Sie holte die Teebeutel heraus und reichte ihm einen Becher Tee. Er nahm ihn entgegen und merkte, daß er immer noch mit dem Telefonhörer in der Hand herumlief.
    »Na ja. Also. Ich konnte dich da schließlich nicht einfach liegenlassen.«
    »Doch«, sagte sie. »Aber du hast es nicht getan.«
    Sie preßte sich an die Wand und lugte aus dem Fenster. Richard ging zu ihr und schaute ebenfalls hinaus. Auf der anderen Straßenseite kamen Mr. Croup und Mr. Vandemar aus dem Zeitungsladen, und im Schaufenster klebte gut sichtbar HABEN SIE DIESES MÄDCHEN GESEHEN?
    »Sind das wirklich deine Brüder?« fragte er.
    »Bitte«, sagte Door ungerührt. »So weit kommt’s noch.«
    Er nippte an seinem Tee und tat so, als sei alles normal.
    »Wo warst du denn nun?« fragte er. »Gerade eben?«
    »Ich war hier«, sagte sie. »Hör mal, da diese beiden sich hier immer noch herumtreiben, müssen wir jemanden benachrichtigen …« Sie zögerte. »Jemanden, der helfen kann. Ich traue mich nicht, die Wohnung zu verlassen.«
    »Tja, kannst du denn nirgendwo hin? Niemanden anrufen?«
    Sie nahm ihm den toten Telefonhörer, von dem das abgeschnittene Kabel herabhing, aus der Hand und schüttelte den Kopf. »Meine Freunde haben kein Telefon«, sagte sie. Sie legte den Hörer wieder auf den Apparat, wo er nutzlos und einsam liegenblieb.
    Plötzlich lächelte sie verschmitzt. »Brotkrumen!« sagte sie.
    »Wie bitte?« fragte Richard.
    Sie öffnete das kleine Fenster an der Rückwand des Schlafzimmers, das auf ein kleines Areal aus Dachziegeln und Dachrinnen hinausging, und streute die Brotkrumen aus. Um das kleine Fenster zu erreichen, mußte man sich auf Richards Bett stellen.
    »Aber ich versteh’ nicht«, sagte Richard.
    »Natürlich nicht«, pflichtete sie ihm bei. »Und jetzt sei still!«
    Da: Geflatter und der violett-grau-grüne Schimmer einer Taube. Sie pickte die Brotkrumen auf, und Door streckte die Hand aus und hob sie hoch. Die Taube sah sie gespannt an, doch sie beschwerte sich nicht.
    Sie setzten sich aufs Bett. Door brachte Richard dazu, die Taube festzuhalten, während sie mit einem leuchtend blauen Gummiband, das Richard sonst dazu benutzte, seine Stromrechnungen zusammenzuhalten, eine Nachricht an ihrem Bein befestigte.
    Richard war nicht gerade ein begeisterter Taubenfesthalter. »Ich weiß nicht, wozu das gut sein soll«, erklärte er. »Ich meine, das ist keine Brieftaube. Das ist bloß eine normale Londoner Taube. Eine, die Lord Nelson vollkackt. «
    »Stimmt«, sagte Door. Ihre Wange war zerkratzt, und ihr Haar war wirr, wirr, aber nicht verfilzt. Sie nahm ihm die Taube ab, hielt sie hoch und sah ihr ins Gesicht. Der Vogel legte den Kopf zur Seite und starrte zurück.
    »Also gut«, sagte sie, und dann machte sie ein Geräusch, das wie das blubbernde Gurren von Tauben klang, »also gut, Crrpllrr, du suchst den Marquis de Carabas. Verstanden?«
    Die Taube gurrte blubbernd zurück.
    »Braves Mädchen. Hör zu, es ist wichtig, vielleicht solltest du – «
    Die Taube unterbrach sie mit einem ziemlich ungeduldig klingenden Blubbern. »Tut mir leid«, sagte Door. »Natürlich, du weißt schon, was du tust.«
    Sie brachte den Vogel zum Fenster und ließ ihn fliegen.
    Richard hatte das Treiben mit ein wenig Erstaunen beobachtet. »Weißt du, daß es fast so klang, als würde sie dich verstehen?« fragte er, als der Vogel am Himmel schrumpfte und hinter ein paar Dachfirsten

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