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Niemalsland

Titel: Niemalsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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steuerte auf die Türen zu.
    »Und, wer war’s denn nun?« fragte Clarence, als er sich an ihre Seite schob.
    »Wer?«
    »Der große Geheimnisvolle.«
    »Weiß ich nicht«, gab sie zu. Dann sagte sie: »Hör mal, vielleicht solltest du den Sicherheitsdienst rufen.«
    »Mach ich. Warum?«
    »Hol … hol mir einfach den Sicherheitsdienst«, und dann betrat Mr. Arnold Stockton den Saal, und alles andere verschwand aus ihrem Kopf.
    Nicht nur sein Bauch war dick, sondern auch seine Brieftasche: ein Mann wie eine Karikatur von Hogarth, von enormem Körperumfang, mit einem vielfachen Doppelkinn und einem vorstehenden Bauch. Er war über sechzig; sein Haar war grau und silbern, und er trug es hinten zu lang, weil es die Menschen ein wenig aus der Fassung brachte, daß sein Haar zu lang war; und Mr. Stockton gefiel es, wenn seinetwegen Menschen aus der Fassung gerieten.
    Verglichen mit Arnold Stockton war Rupert Murdoch ein zwielichtiger kleiner Hosenscheißer und der verstorbene Robert Maxwell ein gestrandeter Wal. Arnold Stockton war ein Pitbull, und als solcher wurde er von Karikaturisten oft gezeichnet.
    Stocktons gehörte von allem ein bißchen: Satelliten, Zeitungen, Plattenfirmen, Freizeitparks, Bücher, Magazine, Comics, Fernsehsender, Filmgesellschaften.
    »Ich werde jetzt meine Rede halten«, sagte Mr. Stockton als Begrüßung zu Jessica. »Dann hau ich wieder ab. Ich komm’ ein andermal wieder, wenn hier nicht all diese ausgestopften Hemden rumstehen.«
    »Gut«, sagte Jessica. »Ja. Die Rede jetzt. Natürlich.«
    Und sie geleitete ihn zu der kleinen Bühne und hinauf zum Rednerpult. Sie klickte mit dem Fingernagel an ein Glas, um die Leute zum Schweigen zu bringen. Niemand hörte sie, deshalb sagte sie: »Entschuldigen Sie« in das Mikrofon. Diesmal wurden die Gespräche leiser. »Meine Damen und Herren. Verehrte Gäste. Ich möchte Sie alle im British Museum willkommen heißen«, sagte sie, »und zu der von Stocktons gesponserten Ausstellung ›Engel über England‹ begrüßen. Hier ist der Mann, dem wir all das hier zu verdanken haben, unser Hauptgeschäftsführer und Vorstandsvorsitzender: Mister Arnold Stockton.«
    Die Gäste applaudierten, schließlich wußten sie genau, wer die Engelsammlung zusammengetragen und immerhin auch ihren Champagner bezahlt hatte.
    Mr. Stockton räusperte sich. »Gut«, sagte er. »Ich mache es kurz. Als ich ein kleiner Junge war, bin ich immer samstags ins British Museum gegangen, weil es dann nichts kostete und wir nicht viel Geld hatten. Und dann bin ich die große Treppe zum Museum hinauf und hintenrum in diesen Raum gegangen, um diesen Engel anzuschauen. Es kam mir vor, als wüßte er, was ich dachte.«
    (Clarence kam wieder herein, ein paar Wärter neben sich. Er zeigte auf Richard, der aufgehört hatte, Mr. Stocktons Rede zu lauschen. Door schaute sich immer noch die Ausstellungsstücke an. »Nein, der«, sagte Clarence wieder und wieder mit gedämpfter Stimme zu den Wärtern. »Nein, schauen Sie, genau da. Ja? Der. «)
    »Wie auch immer. Wie alles, um das sich keiner kümmert«, fuhr Mr. Stockton fort, »verfiel er immer mehr, wurde ein Opfer des Zahns unserer Zeit. Vergammelte. Verfaulte. Tja, es hat ein Scheißgeld gekostet«, er machte eine rhetorische Pause – wenn er, Arnold Stockton, es als Scheißgeld betrachtete, dann war es natürlich auch ein Scheißgeld –, »und ein Dutzend Handwerker haben eine Menge Zeit damit verbracht, ihn zu restaurieren und wieder herzurichten. Nach dieser Ausstellung reist er nach Amerika und dann um die ganze Welt, und vielleicht kann er noch irgendein anderes armes Schwein dazu anregen, sein eigenes Medienimperium auf die Beine zu stellen.«
    Er schaute sich um. Wandte sich zu Jessica, murmelte: »Was soll ich jetzt machen?«
    Sie deutete auf das Zugseil neben dem Vorhang.
    Mr. Stockton zog daran. Der Vorhang blähte und öffnete sich, und dahinter kam eine alte Tür zum Vorschein.
    (»Nein. Der«, sagte Clarence. »Du meine Güte! Sind Sie blind?«)
    Sie sah aus, als sei sie einmal die Tür zu einer Kathedrale gewesen. Sie war so groß wie zwei Männer und breit genug, um ein Pony durchzulassen. In das Holz der Tür geschnitzt, rot und weiß angemalt und mit Blattgold vergoldet, war ein ganz außergewöhnlicher Engel. Er starrte mit leeren mittelalterlichen Augen in die Welt hinaus.
    Die Gäste schnappten beeindruckt nach Luft. Dann applaudierten sie.
    »Der Angelus!« Door zupfte Richard am Ärmel. »Das ist er! Richard,

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