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Niemalsland

Titel: Niemalsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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Ledersohle seines auf Hochglanz polierten schwarzen Stiefels ab.
    Die Frau seufzte. »Danke, Gerald. Nun denn, weiter geht’s.« Gemeinsam gingen die beiden aus dem Saal. »Letztes Mal haben wir hinterher festgestellt, daß jemand in einen Sarkophag gekotzt hatte«, sagte der Wärter, und dann schloß die Tür sich hinter ihnen.
    »Wenn man zum Unter-London gehört«, sagte Door beiläufig zu Richard, während sie Seite an Seite in den nächsten Saal gingen, »bemerken sie einen normalerweise überhaupt nicht, außer man spricht sie direkt an. Und selbst dann vergessen sie einen ziemlich schnell wieder.«
    »Aber ich hab’ dich doch gesehen«, sagte Richard. Das machte ihm schon seit geraumer Zeit zu schaffen.
    »Ich weiß«, sagte Door. »Ist das nicht merkwürdig?«
    »Alles ist merkwürdig«, sagte Richard voller Inbrunst. Die Streichermusik wurde lauter.
    »Zum Angelus geht’s hier lang«, verkündete Door und deutete in die Richtung, aus der die Musik kam.
    »Woher weißt du das?«
    »Ich weiß es eben«, sagte sie mit außerordentlicher Bestimmtheit. »Komm.« Sie traten aus der Dunkelheit in einen beleuchteten Korridor.
    Ein riesiges Schild hing von der Decke. Darauf stand:
    ENGEL ÜBER ENGLAND
EINE AUSSTELLUNG DES BRITISH MUSEUM
Gesponsort von Stocktons PLC
     
    Sie überquerten den Korridor und gingen durch eine offene Tür in einen großen Raum, in dem eine Party im Gange war.
    Ein Streichquartett musizierte, und Kellner versorgten einen Raum voller gutgekleideter Herrschaften mit Essen und Trinken. In einer Ecke des Raums befand sich neben einem langen Vorhang eine kleine Bühne mit einem Rednerpult darauf.
    Der Raum war voller Engel.
    Da waren Statuen von Engeln auf winzigen Sockeln. Da waren Gemälde von Engeln an den Wänden. Da waren Engelsfresken. Da waren große Engel und kleine Engel, steife Engel und liebenswerte Engel, Engel mit Flügeln und Heiligenscheinen und Engel ohne alles, kriegerische Engel und friedfertige Engel. Da waren moderne Engel und klassische Engel. Hunderte und Aberhunderte von Engeln in jeder Form und Größe. Westliche Engel, nahöstliche Engel, östliche Engel. Michelangelo-Engel. Joel-Peter-Witkin-Engel, Picasso-Engel, Warhol-Engel. Mr. Stocktons Engel-Kollektion war ›so bunt zusammengewürfelt, daß es schon beinahe trashig ist, in ihrem Eklektizismus jedoch zweifelsohne beeindruckend‹ (Time Out).
    »Würdest du mich«, fragte Richard, »unausstehlich finden, wenn ich dir sagte, daß es ungefähr ebenso kompliziert ist, hier drinnen etwas mit einem Engel drauf zu finden, wie, oh mein Gott, da ist Jessica.«
    Richard spürte, wie ihm das Blut aus dem Gesicht wich. Bis jetzt hatte er geglaubt, das sei nur eine Redewendung. Daß es so etwas wirklich gab, hätte er nicht gedacht.
    »Kanntest du sie?« fragte Door.
    Richard nickte. »Sie war meine. Also. Wir wollten heiraten. Wir waren ein paar Jahre lang zusammen. Sie war bei mir, als ich dich fand. Sie war die auf dem. Sie hat diese Nachricht hinterlassen. Auf dem Anrufbeantworter.«
    Jessica plauderte mit Andrew Lloyd Webber, Janet Street-Porter und einem bebrillten Herrn, der, da war sie so gut wie sicher, einer der Saatchis sein mußte. Alle paar Minuten sah sie auf die Uhr und blickte zur Tür.
    »Die?« fragte Door, als es ihr wieder einfiel. Dann fügte sie hinzu, offenbar der Ansicht, sie müßte über jemanden, den Richard sehr gemocht hatte, etwas Nettes sagen: »Also, sie ist sehr …«, und sie hielt inne und überlegte, »...sauber.«
    Richard starrte quer durch den Raum. »Wird sie … wird es sie ängstigen, daß wir hier sind?«
    »Das bezweifle ich«, sagte Door. »Offen gesagt, wenn du nicht irgend etwas Dummes tust – sie zum Beispiel ansprichst – , wird sie dich wahrscheinlich gar nicht bemerken. « Und dann sagte sie, sehr viel euphorischer: »Essen!«
    Sie stürzte sich auf die Canapés, ein kleines, rotznasiges, koboldhaariges Mädchen in einer großen braunen Lederjacke, das ewig nichts Vernünftiges mehr gegessen hatte. Sie begann sofort, sich enorme Essensmengen in den Mund zu stopfen, zu kauen und hinunterzuschlucken, während sie gleichzeitig die gehaltvolleren Schnittchen in Papierservietten wickelte und in ihre Taschen steckte.
    Dann, einen mit Hühnerbeinen, Melonenscheiben, Pilz-Vol-au-vents, Kaviarpastetchen und kleinen Wildbretwürstchen beladenen Pappteller in der Hand, schritt sie langsam die Wände ab und schaute sich jedes Engelskunstwerk aufmerksam an. Richard trottete mit einem

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