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Niemalsland

Titel: Niemalsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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hielt sein Glas hoch. »Ein Toast: auf den Glanz früherer Zeiten.«
    »Auf den Glanz früherer Zeiten«, sprachen Richard und Door nach. Und dann probierten sie den Wein; ganz behutsam nippten sie daran.
    »Er ist unglaublich«, sagte Door.
    »Ja, wirklich«, sagte Richard. »Ich dachte, alte Weine werden an der Luft zu Essig.«
    Der Engel schüttelte den Kopf. »Dieser nicht. Das ist alles eine Frage der Traubensorte und des Ortes, an dem sie gewachsen ist. Diese Traubensorte wurde leider vernichtet, als der Weinberg ein Opfer der Wellen wurde.«
    »Das ist Magie«, sagte Door, an dem flüssigen Licht nippend. »So einen Geschmack habe ich noch nie erlebt.«
    »Und du wirst ihn auch nie wieder erleben«, sagte Islington. »Es gibt keinen Wein aus Atlantis mehr.«
    Richard öffnete den Mund, um seinem Gastgeber zu sagen, daß es nie ein Atlantis gegeben habe, doch dann fiel ihm ein, daß es auch keine Engel gab und daß daher das meiste von dem, was er in den letzten Tagen erlebt hatte, gar nicht möglich war, daher schloß er den Mund wieder und nahm noch einen Schluck Wein.
    Er machte ihn glücklich. Er ließ ihn an einen Himmel denken, der größer und blauer war, als er je einen gesehen hatte, eine goldene Sonne, die am Himmel hing; alles war einfacher, alles war jünger als die Welt, die er kannte.
    Zu ihrer Linken befand sich ein Wasserfall; klares Wasser lief den Felsen hinab und sammelte sich in dem Felsbecken. Zu ihrer Rechten war eine Tür, zwischen zwei Eisenpfeiler eingefügt: Die Tür bestand aus poliertem Feuerstein, der in ein Metall von beinahe schwarzer Farbe eingelassen war.
    »Sie behaupten tatsächlich, ein Engel zu sein?« fragte Richard. »Ich meine, Sie haben wirklich schon einmal Gott gesehen und so weiter?«
    Islington lächelte nachsichtig. »Ich behaupte gar nichts, Richard«, sagte er. »Aber ich bin ein Engel.«
    »Sie erweisen uns eine große Ehre«, sagte Door.
    »Nein. Ihr habt mir eine Ehre erwiesen, indem ihr hierher gekommen seid. Dein Vater war ein guter Mann, Door, und er war mein Freund. Sein Tod hat mich sehr traurig gemacht.«
    »Er hat gesagt … in seinem Tagebuch … hat er gesagt, ich solle zu Ihnen gehen. Er hat gesagt, ich könne Ihnen trauen.«
    »Dann will ich hoffen, daß ich dieses Vertrauens würdig bin.« Der Engel nippte an seinem Wein. »Unter-London ist die zweite Stadt, die mir je etwas bedeutet hat. Die erste ist in den Wellen versunken, und ich konnte nichts dagegen tun. Ich weiß, was Schmerz und was Trauer ist. Du hast mein ganzes Mitgefühl. Was möchtest du wissen? «
    Door zögerte. »Meine Familie … sie wurde von Mister Croup und Mister Vandemar umgebracht. Aber – wer hat den Befehl dazu gegeben? Ich will … ich will wissen, warum.«
    Der Engel nickte. »Viele Geheimnisse finden ihren Weg zu mir herab«, sagte er. Dann wandte er sich Richard zu. »Und du? Was willst du, Richard Mayhew?«
    Richard zuckte mit den Schultern. »Ich will mein Leben wiederhaben. Und meine Wohnung. Und meinen Job.«
    »Das läßt sich machen«, sagte der Engel.
    »Ja. Gut«, sagte Richard mit ausdrucksloser Stimme.
    »Zweifelst du an mir, Richard Mayhew?« fragte der Engel Islington. Richard sah ihm in die Augen. Er blickte in Augen, die so alt waren wie das Universum: Augen, die gesehen hatten, wie Sternenstaub zu Galaxien gerann.
    Er schüttelte den Kopf.
    Islington lächelte ihn freundlich an. »Es wird nicht leicht sein, und euch und euren Begleitern stehen noch bestimmte Prüfungen bevor. Doch es gibt einen Weg. Einen Schlüssel zu euren Problemen.« Er erhob sich, ging zu einem kleinen Felsregal hinüber und nahm eine kleine Statue in die Hand, eine von mehreren auf dem Regal. Es war eine schwarze Statuette, die eine Art Tier darstellte, aus vulkanischem Glas. Der Engel reichte sie Door.
    »Dies wird euch sicher durch den letzten Teil eurer Reise zurück zu mir bringen«, sagte er. »Der Rest liegt bei euch.«
    »Was sollen wir tun?« fragte Richard.
    »Die Black Friars, die Schwarzen Mönche, sind die Wächter eines Schlüssels«, sagte er. »Bringt ihn mir.«
    »Und damit können Sie herausfinden, wer meine Familie getötet hat?« fragte Door.
    »Ich hoffe es«, sagte der Engel.
    Richard leerte sein Weinglas. Er spürte, wie der Wein ihn wärmte, als er durch ihn hindurchfloß. Er hatte das seltsame Gefühl, wenn er auf seine Finger schaute, würde er den Wein durch sie hindurch glühen sehen. Als wäre er aus Licht …
    »Viel Glück«, flüsterte der Engel

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