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Niemalsland

Titel: Niemalsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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komm!«
    Sie lief zur Bühne.
    »Entschuldigen Sie, mein Herr«, sagte ein Wärter zu Richard. »Dürften wir einmal Ihre Einladung sehen?« sagte ein weiterer, wobei er Richard fest, aber diskret am Arm nahm. »Und können Sie sich irgendwie ausweisen?«
    »Nein«, sagte Richard.
    Door war auf der Bühne. Richard versuchte, sich loszureißen und ihr zu folgen, in der Hoffnung, die Wärter würden ihn vergessen. Aber nein.
    Jetzt, da sie auf ihn aufmerksam geworden waren, würden sie ihn wie jeden anderen schäbig gekleideten, ungewaschenen, etwas unrasierten Eindringling behandeln. Der Wärter, der Richard am Arm festhielt, verstärkte seinen Griff und murmelte: »So nicht.«
    Door hielt auf der Bühne inne und überlegte, wie sie die Wärter dazu bringen könnte, Richard loszulassen. Dann tat sie das einzige, was ihr einfiel. Sie ging hinüber zum Mikrofon, stellte sich auf die Zehenspitzen, und sie schrie, so laut sie nur konnte, hinein.
    Sie hatte eine bemerkenswerte Art zu schreien: Auch unverstärkt drang so ein Schrei einem schon in den Kopf wie eine neue Bohrmaschine mit einem Knochensägeaufsatz. Und verstärkt …
    Eine Kellnerin ließ ein Tablett voller Getränke fallen. Köpfe drehten sich. Hände hielten Ohren zu. Jedes Gespräch verstummte. Die Menschen starrten entgeistert und entsetzt auf die Bühne.
    Und Richard nahm die Beine in die Hand. »Entschuldigung«, sagte er zu dem verdutzten Wärter, als er sich losriß und flüchtete. »Falsches London.«
    Er erreichte die Bühne, ergriff Doors ausgestreckte linke Hand. Ihre rechte Hand berührte den Angelus, die riesige Kathedralentür. Berührte sie und öffnete sie.
    Diesmal ließ niemand ein Getränk fallen. Sie erstarrten, die Augen weit aufgerissen, völlig überwältigt – und vorübergehend geblendet. Der Angelus hatte sich geöffnet, und von der anderen Seite der Tür flutete strahlendes Licht in den Saal. Da bedeckten die Menschen zögernd die Augen, öffneten sie wieder und gafften einfach nur. Es war, als hätte man in dem Raum ein Feuerwerk angezündet. Kein Feuerwerk für Innenräume, diese seltsamen Kriechdinger, die zischen und stinken; auch keins, wie man es im eigenen Garten abbrennt; sondern ein professionelles Feuerwerk, das so weit nach oben schießt, daß es eine potentielle Gefahr für den Flugverkehr darstellt: ein Feuerwerk, wie es einen Tag in Disneyland beschließt oder der Feuerwehr bei Pink-Floyd-Konzerten Kopfzerbrechen macht. Es war ein Augenblick reiner Magie.
    Das Publikum glotzte, verzaubert und verblüfft. Es war nur noch das leise, japsende Beinahe-Stöhnen des Staunens zu hören, das Menschen entfährt, wenn sie sich ein Feuerwerk ansehen: das Geräusch der Ehrfurcht.
    Dann gingen ein schmuddeliger junger Mann und ein rotznasiges Mädchen in einer riesigen Lederjacke in die Lightshow hinein und verschwanden. Die Tür schloß sich hinter ihnen. Die Lightshow war vorüber.
    Und alles war wieder normal. Die Gäste und Wärter und Kellner blinzelten, schüttelten den Kopf, und da sie es mit etwas zu tun gehabt hatten, das ganz und gar außerhalb ihres Erfahrungshorizonts lag, kamen sie irgendwie wortlos überein, daß es einfach nicht geschehen war.
    Mr. Stockton ging ab und nickte dabei einigen Bekannten schroff zu.
    Jessica ging zu Clarence hinüber. »Was«, fragte sie leise, »tun diese Wärter hier?«
    Die besagten Wärter standen zwischen den Gästen und schauten sich um, als wüßten sie selbst nicht genau, was sie dort taten.
    Clarence begann zu erklären, was die Wärter dort taten, und dann stellte er fest, daß er nicht die leiseste Ahnung hatte.
    »Ich kümmere mich darum«, sagte er rasch.
    Jessica nickte. Sie ließ den Blick über ihre Party schweifen und lächelte wohlwollend. Es lief alles ziemlich gut.
    Richard und Door gingen ins Licht hinein. Und dann war es plötzlich dunkel und kühl, und Richard blinzelte, denn er war fast blind durch das Bild, das das Licht in seine Netzhaut gebrannt hatte: ein geisterhaftes Orange-Grün, das langsam verblich, während seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten, die sie umgab.
    Sie befanden sich in einer riesigen, in einen Felsen gehauenen Halle. Eisenpfeiler, schwarz und rostbestäubt, stützten das Dach und ragten, vielleicht kilometerweit, ins entfernte Dunkel. Von irgendwoher hörte er das sanfte Plätschern von Wasser: ein Springbrunnen vielleicht, oder eine Quelle. Door hielt immer noch fest seine Hand.
    In der Ferne flackerte eine kleine Flamme auf. Und

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