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Niemalsland

Titel: Niemalsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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zerflossen waren. Er versuchte aufzustehen und setzte sich dann sofort wieder hin. »Uuh«, erklärte er.
    »Wie geht es Ihrem Kopf?« fragte Hunter geschäftsmäßig.
    »Dem ging’s schon mal besser«, sagte Richard.
    Hunter nahm einen weiteren Holzeimer, diesmal mit Wasser gefüllt, und schleppte ihn über den Stallboden. »Ich weiß nicht, was Sie getrunken haben«, sagte sie. »Aber es muß stark gewesen sein.«
    Hunter tauchte ihre Hand in den Eimer und benetzte Doors Gesicht mit Wasser. Doors Augenlider zuckten.
    »Kein Wunder, daß Atlantis untergegangen ist«, murmelte Richard. »Wenn die sich morgens alle so gefühlt haben, war es wahrscheinlich eine Erlösung. Wo sind wir?«
    Hunter spritzte Door noch eine Handvoll Wasser ins Gesicht. »In den Stallungen einer Freundin«, sagte sie.
    Richard schaute sich um. Hier sah es wirklich ein wenig wie in einem Stall aus. Er fragte sich, ob er für Pferde gedacht war – was für Pferde mochten unter der Erde leben? An der Wand war eine Zeichnung: der Buchstabe S (oder war es eine Schlange? Richard konnte es nicht erkennen), umringt von sieben Sternen.
    Door streckte zögernd die Hand aus und berührte prüfend ihren Kopf, als wüßte sie nicht genau, was sie da finden würde. »Uuh«, sagte sie beinahe flüsternd. »Temple und Arch. Bin ich tot?«
    »Nein«, sagte Hunter.
    »Schade.«
    Hunter half ihr auf. »Na ja«, sagte Door verschlafen, »immerhin hatte er uns vor dem Wein gewarnt.«
    Und dann wachte sie endgültig auf, sehr heftig, sehr schnell. Sie packte Richards Schulter, zeigte auf die Zeichnung an der Wand, das schlangengleiche S mit den Sternen darum herum. Sie japste und erinnerte an eine Maus, die gerade gemerkt hat, daß sie in einem Katzenzwinger aufgewacht ist.
    »Serpentine!« sagte sie zu Richard, zu Hunter. »Das ist Serpentines Wappen. Richard, steh auf! Wir müssen weglaufen – bevor sie herausfindet, daß wir hier sind …«
    »Glaubst du wirklich«, fragte eine trockene Stimme vom Eingang her, »daß du Serpentines Haus betreten kannst, ohne daß Serpentine etwas davon weiß, mein Kind?«
    Door preßte sich gegen das Holz der Stallwand. Sie zitterte. Richard wurde trotz des Hämmerns in seinem Kopf klar, daß er Door noch nie in Angst gesehen hatte.
    Serpentine stand in der Tür. Sie trug eine weiße Ledercorsage, hohe weiße Lederstiefel und die Überreste von etwas, das aussah, als sei es vor langer Zeit einmal ein weißes Hochzeitskleid aus Seide und Spitze gewesen, das jetzt zerlumpt und schmutzfleckig und zerrissen war. Sie überragte sie alle: Ihr ergrauender Haarschopf streifte den Türrahmen. Ihre Augen waren scharf, und ihr Mund war ein grausamer Strich in einem herrischen Gesicht.
    Sie schaute Door an, als gebührte es ihr, daß man eine Todesangst vor ihr hatte; als wäre sie an Furcht nicht nur gewöhnt, sondern erwartete sie, mochte sie sogar.
    »Beruhigen Sie sich«, sagte Hunter.
    »Aber das ist Serpentine«, wimmerte Door. »Von den Seven Sisters.«
    Serpentine neigte höflich den Kopf. Dann gab sie den Eingang frei. Hinter ihr stand eine dünne Frau mit einem strengen Gesicht und langem dunklen Haar, in einem schwarzen Kleid, das ihre Taille wespengleich einzwängte. Die Frau sagte nichts.
    Serpentine ging zu Hunter hinüber.
    »Hunter hat vor langer Zeit für mich gearbeitet«, sagte Serpentine. Sie streckte einen weißen Finger aus und streichelte sanft Hunters braune Wange, eine besitzergreifende und liebevolle Geste. Und dann: »Du hast dich besser gehalten als ich, Hunter.«
    Hunter sah zu Boden.
    »Ihre Freunde sind meine Freunde, mein Kind«, sagte Serpentine. »Du bist Door?«
    »Ja«, sagte Door mit trockenem Mund.
    Serpentine wandte sich Richard zu. »Was bist du?« fragte sie ungerührt.
    »Richard«, sagte Richard.
    »Ich bin Serpentine«, erklärte sie würdevoll.
    »Ist mir nicht entgangen«, sagte Richard.
    »Auf euch alle wartet etwas zu essen«, sagte Serpentine, »falls ihr Lust auf ein Frühstück habt.«
    »Oh Gott, nein«, stöhnte Richard höflich.
    Door sagte nichts. Sie stand immer noch mit dem Rükken zur Wand und zitterte leise, wie ein Blatt im Sommerwind. »Was gibt es zu essen?« fragte Hunter.
    Serpentine sah die Frau mit der Wespentaille im Eingang an. »Nun?« fragte sie.
    Die Frau lächelte das eisigste Lächeln, das Richard je auf einem menschlichen Gesicht gesehen hatte. Dann sagte sie: »Spiegeleier hartgekochte Eier Soleier Wildbretcurry Perlzwiebeln eingelegte Heringe Räucherheringe

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