Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Niemalsland

Titel: Niemalsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
Vom Netzwerk:
Salzheringe Pilzragout Salzschinken Kohlrouladen Hammelfleisch Kalbsfußsülze – «
    Richard öffnete den Mund, um sie anzuflehen, aufzuhören, aber es war zu spät. Er mußte sich plötzlich ganz fürchterlich übergeben.
    Er wollte, daß ihn jemand in den Arm nahm, ihm sagte, daß alles wieder gut würde, daß er sich bald besser fühlen würde; wollte, daß ihm jemand ein Aspirin und ein Glas Wasser gab und ihn wieder ins Bett brachte. Aber niemand tat es; und sein Bett war ein ganzes Leben weit weg. Er wusch sich mit Wasser aus dem Eimer das Erbrochene aus dem Gesicht und von den Händen. Dann spülte er sich den Mund aus. Und dann folgte er den vier Frauen leicht schwankend zum Frühstück.
    »Kann ich mal die Kalbsfußsülze haben«, sagte Hunter mit vollem Mund.
    Serpentines Eßzimmer befand sich auf dem kleinsten U-Bahnsteig, den Richard je gesehen hatte. Er war etwa dreieinhalb Meter lang, und den größten Teil davon nahm ein Eßtisch ein. Er war mit einer weißen Damasttischdecke und einem offiziösen Silberservice gedeckt. Darauf türmten sich übelriechende Lebensmittel. Die eingelegten Wachteleier, dachte Richard, stanken am schlimmsten.
    Seine Haut war kalt und feucht, und seine Augen fühlten sich so an, als seien sie falsch herum eingesetzt worden, wobei sein gesamter Schädel offenbar gegen einen anderen ausgetauscht worden war, der zwei oder drei Nummern zu klein war.
    Eine U-Bahn fuhr keine zwei Meter von ihnen entfernt vorbei; der Fahrtwind zerrte an ihrem Tisch. Der Lärm drang durch Richards Kopf wie ein heißes Messer durch Hirn. Er stöhnte auf.
    »Dein Held verträgt nichts, wie ich sehe«, stellte Serpentine sachlich fest.
    »Er ist nicht mein Held«, sagte Door.
    »Ich fürchte doch. Mit der Zeit erkennt man solche Typen. Vielleicht verraten es ihre Augen.« Sie wandte sich zu der Frau in Schwarz um, die eine Art Majordomus zu sein schien. »Eine kleine Stärkung für den Herrn.«
    Die Frau lächelte dünn und glitt davon.
    Door stocherte in einem Pilzgericht. »Wir sind für all dies sehr dankbar, Lady Serpentine«, sagte sie.
    Serpentine schniefte. »Einfach Serpentine, mein Kind. Ich habe keine Zeit für dumme Formalitäten. Nun. Du bist also Porticos älteste Tochter.«
    »Ja.«
    Serpentine tauchte den Finger in die salzige Soße, die etwas enthielt, das aussah wie kleine Aale. Sie leckte den Finger ab und nickte anerkennend. »Ich hatte nicht viel übrig für deinen Vater. Immer dieses Gefasel von der Vereinigung der Unterseite. So ein Unsinn. Dieser Dummkopf. Der hat doch das Schicksal herausgefordert. Das letzte Mal, als ich deinen Vater gesehen habe, habe ich ihm gesagt, wenn er jemals wieder hier auftaucht, werde ich ihn in eine Blindschleiche verwandeln.« Sie wandte sich Door zu. »Wie geht es deinem Vater übrigens?«
    »Er ist tot«, sagte Door.
    Serpentine sah sehr zufrieden aus. »Siehst du?« sagte sie. »Genau das hab’ ich gemeint.«
    Door sagte nichts.
    Serpentine pflückte sich etwas aus den Haaren. Sie untersuchte es eingehend, zerquetschte es dann zwischen Daumen und Zeigefinger und ließ es auf den Bahnsteig fallen. Dann wandte sie sich Hunter zu, die einen kleinen Berg eingelegter Heringe vertilgte. »Du bist also auf der Jagd nach dem Ungeheuer?« fragte sie.
    Hunter nickte mit vollem Mund.
    »Dann brauchst du natürlich den Speer«, sagte Serpentine. Die Frau mit der Wespentaille stand jetzt neben Richard, ein schmales Tablett in der Hand. Auf dem Tablett stand ein kleines Glas mit einer schreiend smaragdfarbenen Flüssigkeit. Richard starrte es an und warf dann Door einen Blick zu.
    »Was geben Sie ihm?« fragte Door.
    »Nichts, was ihm schaden würde«, sagte Serpentine mit einem frostigen Lächeln. »Ihr seid meine Gäste.«
    Richard stürzte die grüne Flüssigkeit herunter, die nach Thymian und Pfefferminz und Wintermorgen schmeckte.
    Er spürte sie hinunterrinnen und versuchte sich dagegen zu wappnen, daß sie ihm wieder hochkam. Doch dann holte er tief Luft und merkte ein wenig überrascht, daß sein Kopf nicht mehr wehtat.
    Und daß er einen Bärenhunger hatte.
    Old Bailey gehörte nun wirklich nicht zu den Menschen, die in die Welt gesetzt wurden, damit sie Witze erzählten. Trotz dieses Handicaps ließ er es sich nicht nehmen, ständig welche zu erzählen. Die Witze, die zu erzählen er sich nicht nehmen ließ, waren meistens überlange unverständliche Geschichten, die in einem traurigen Wortspiel endeten, das Old Bailey allerdings nur allzuoft

Weitere Kostenlose Bücher