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Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Titel: Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annick Cojean
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Nationalfeiertage und religiösen Feste, der Ramadan. Ich verlor allmählich das Gefühl für die Zeit. Tag oder Nacht, die Beleuchtung im Kellergeschosswar immer dieselbe. Und mein Leben beschränkte sich auf diesen engen Bereich, in Abhängigkeit von den Begierden und Launen des Obersts. Wenn wir untereinander von ihm sprachen, nannten wir ihn nie beim Namen oder Titel. »Er«, »Der«, das reichte vollkommen. Unser Leben kreiste um das seine. Unklarheiten konnte es da nicht geben.
    Ich wusste nichts von den Vorgängen im Land noch von den Erschütterungen in der Welt. Manchmal erfuhr ich gerüchteweise von einem Gipfeltreffen afrikanischer Führer oder dem Besuch eines bedeutenden Staatschefs. Die meisten Begegnungen fanden in seinem offiziellen Zelt auf dem Gelände von Bab al-Aziziya statt, wohin »er« sich in einem kleinen Golf Cart begab. Vor wichtigen Interviews und Gesprächen wie vor jedem öffentlichen Auftritt rauchte er Haschisch oder nahm Kokain. Er stand fast immer unter Drogen. Feste und Empfänge wurden häufig in den Salons des Hauses organisiert. Da drängten sich die Würdenträger des Regimes und zahlreiche ausländische Delegationen. Wir richteten unser Augenmerk als Erstes auf die Frauen, denn natürlich interessierten sie ihn vor allem, wobei es Mabrukas Aufgabe war, sie in sein Zimmer zu locken. Studentinnen, Künstlerinnen, Journalistinnen, Models, Töchter oder Frauen von Honoratioren, hohen Militärs, Staatschefs. Je renommierter die Väter oder Gatten waren, desto prächtiger mussten die Geschenke für ihre Frauen sein. Ein kleiner Raum neben seinem Büro diente als Ali-Baba-Höhle, wo Mabruka die Geschenke zwischenlagerte. Ich habe dort Samsonite-Koffer voller Bündel Dollar- und Euro-Noten gesehen, Schmuckschatullen, goldene Geschmeide, wie sie allgemein bei Hochzeiten verliehen werden, Diamantcolliers. Die meisten Frauen mussten die Blutentnahme über sich ergehen lassen. Siewurde ganz diskret von den Ukrainerinnen vorgenommen, in einem kleinen Salon mit roten Sesseln, der sich gegenüber dem Büro des Wachpersonals befand. Die Frauen von Staatschefs waren vermutlich davon ausgenommen, ich weiß es nicht. Es war mitunter jedenfalls ganz amüsant mitanzusehen, wie sie wie aus dem Ei gepellt, ihr Markentäschchen in der Hand, zu seinem Zimmer gingen und mit verschmiertem Lippenstift und zerstörter Frisur wieder herauskamen.
    Laila Trabelsi, die Frau des tunesischen Diktators Ben Ali, gehörte offensichtlich zu seinen intimen Freundinnen. Sie kam häufig, und Mabruka verehrte sie glühend. »Meine liebste Laila!«, rief sie aus, immer überglücklich, wenn sie sie am Telefon hatte oder ihren Besuch ankündigen konnte. Für Laila war nichts schön genug. Ich erinnere mich vor allem an eine Schatulle, wie ein Zauberkästchen, über und über mit Gold verziert. Im Laufe der Zeit habe ich viele Frauen afrikanischer Staatschefs, deren Namen ich nicht kannte, durch die Residenz ziehen sehen. Und auch Cécilia Sarkozy, die Gemahlin des französischen Präsidenten, hübsch und unnahbar, auf die die anderen Mädchen mich sofort aufmerksam machten. Einmal, in Sirte, sah ich Tony Blair, wie er gerade den monströsen Wohnbus Gaddafis verließ. »Hello girls!«, rief er und winkte uns mit einem fröhlichen Lächeln zu.
    Von Sirte aus fuhren wir manchmal in die Wüste. Gaddafi liebte es, dort im Nirgendwo sein Zelt aufzuschlagen, inmitten von Herden von Dromedaren. Er ließ sich nieder, um Tee zu trinken, mit den Ältesten seines Stammes zu palavern, zu lesen und Siesta zu halten. Nachts schlief er jedoch nie in der Wüste, da zog er den Komfort seines luxuriösen Riesenbusses vor. Dorthin ließ er uns dann auch nachkommen. AmMorgen mussten wir ihn in Uniform alle auf die Jagd begleiten. Der Mythos der Leibwächterinnen wurde gepflegt, und Zurha, eine echte Soldatin, achtete darauf, dass ich mich wie eine Profi-Gardistin benahm. Sie wurde eines Tages sogar beauftragt, mich in die Handhabung einer Kalaschnikow einzuweisen: auseinandernehmen, reinigen, laden, spannen. »Schieß!«, rief sie, als ich die Waffe an der Schulter hatte. Ich habe mich geweigert. Ich habe nie einen Schuss abgegeben.
    Ich entdeckte auch Gaddafis Hang zur Schwarzen Magie. Das war Mabrukas direkter Einfluss. Damit hatte sie ihn in der Hand, hieß es. Sie suchte Marabuts und Magier in ganz Afrika auf, stellte sie mitunter auch dem Führer vor. Gaddafi trug zwar keinen Talisman, aber er schmierte sich mysteriöse Salben auf den

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