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Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)

Titel: Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annick Cojean
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unglaublich.
    Ich blieb über Nacht im Hotel, schlief im Zimmer eines anderen Mädchens. Irgendjemand hatte es übernommen, zu später Stunde Mabruka anzurufen und sie um die Erlaubnis zu bitten, und seltsamerweise hatte sie zugestimmt. Der »Meister« schien besetzt zu sein. Es hatten ihn ja so viele Frauen begleitet, und ich weiß, dass sie auch unterwegs noch welche eingesammelt hatten.
    Am nächsten Morgen war großes Klarmachen zum Gefecht. »Alle in Uniform, und tadellos zurechtgemacht!«, rief die Frau vom Protokoll. »Der Führer wird in einem riesigenStadion eine Rede halten. Jede von euch hat dabei ihre Rolle zu spielen!« Die Wagen brachten uns zum Stadion von Conakry, wohin bereits scharenweise die Menschen strömten, Junge, Alte, Familien mit ihren Kindern. Orchester spielten, Transparente wurden hochgehalten, man sah Kostüme und prachtvolle Boubous. Bevor er uns auf die Ehrentribüne dirigierte, wandte sich Nuri Mismari, der oberste Protokollchef, an uns: »Ihr seid keine Militärs, aber ihr müsst handeln, als wärt ihr tatsächlich für die Sicherheit des Führers verantwortlich. Versetzt euch in die Haut echter Leibwächter. Macht ein ernstes Gesicht, seht besorgt aus, gebt auf alles acht, was um euch herum geschieht.« Also habe ich Gardist gespielt und Zurha imitiert, die eine finstere Miene aufgesetzt hatte und sich nach allen Seiten umsah, als hielte sie nach Terroristen Ausschau.
    Als wir ins Stadion einmarschierten, als das Begrüßungsgeschrei aufbrandete und ich diese 50 000-köpfige Menge sah, die Gaddafi applaudierte und sein Lob sang, verschlug es mir den Atem. Frauen schrien seinen Namen und versuchten an ihn heranzukommen, sein Gewand zu berühren oder ihn gar zu umarmen. Es war irre. ›Ihr Armen!‹, sagte ich mir. ›Ihr würdet besser nicht so sehr auf euch aufmerksam machen. Der Mann ist gefährlich.‹ Ich dachte an Mama, die mich auf den vom Nationalen Fernsehen übertragenen Bildern vielleicht erkennen und bestimmt ganz gerührt sein würde, trotz ihrer Aversion gegen Gaddafi. Vielleicht würde sie sich sagen, dass ich da immerhin etwas nicht ganz Alltägliches erlebte. Aber ich dachte auch an meine Brüder. Was wussten sie inzwischen? Was würden sie denken? Ich wandte den Kopf ab und versuchte mein Gesicht zu verbergen. Ihre voraussehbare Reaktion ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.
    Gaddafi schien völlig aufgeputscht durch die Menge. Er sprach auf sie ein, spielte mit ihr. Er warf sich in die Brust, reckte die Faust wie ein Sportchampion oder wie der Herr des Universums. Manche unter den Mädchen in Uniform waren fasziniert. Ich nicht, das kann ich Ihnen sagen. Nicht eine Sekunde. Nicht eine Tausendstelsekunde. Auf seiner Stirn, zwischen seiner braunen Kappe und seiner schwarzen Sonnenbrille, stand es für mich geschrieben: krank, unheilbar verrückt!
    Und dann ging es weiter Richtung Elfenbeinküste via Sierra Leone, Stunden um Stunden im Auto. Im nächsten Hotel musste ich mein Zimmer mit Farida und Zurha teilen, was kein Problem war, denn das Bett war riesig. Alle waren fröhlich und wollten gleich erst mal zum Pool gehen. Natürlich hatte ich wahnsinnige Lust mitzukommen, so eine tolle Anlage hatte ich noch nie gesehen. Aber der Oberst konnte jeden Augenblick nach mir verlangen. »Du brauchst doch nur zu sagen, dass du deine Regel hast«, riet mir Farida. »Du weißt, das ist das Einzige, was ihn abschreckt. Aber pass auf, sie überprüfen es! Mach Lippenstift auf eine Binde.« Schlau, fand ich. Zwei Stunden später befahl mir Fathia in gewohnt hartem Ton, mich zur Residenz des Führers zu begeben. Ich nahm eine niedergeschlagene Miene an und behauptete, ich sei einfach zu müde. Sie zog die Augenbrauen hoch, als würde ich mich über sie lustig machen. »Ich habe meine Regel.«
    »Na, so was! Das will ich sehen!«
    »Sie wollen mich doch nicht etwa kontrollieren!«
    »Zeig!«
    Die Geste war demütigend, aber der Anblick der mit Wasser befeuchteten und mit Lippenstift gefärbten Binde überzeugte sie. Farida ging allein zum Führer.
    Naiv, wie ich war, eilte ich also frei und beschwingt den anderen Mädchen – und Jalal – hinterher zum Schwimmbecken. Da gab es Musik, Getränke, Wasserpfeifen. Niemand machte einem anderen große Geständnisse, aber irgendwie hatten wir einen kollektiven Drang nach Vergeltung. Für ein paar Stunden nahmen wir uns das Recht auf Luxus heraus. Wir waren die Gaddafi-Gemeinde, fühlten uns nicht mehr unwichtiger als ein Nichts, und

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