Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)
spaltet mir den Schädel. Ich lag am Boden wie ein Tier, das er ebenso gut auch beschließen konnte abzuschlachten. Manche Strähnen reichten mir noch bis zurSchulter, andere schienen kürzer zu sein, denn ich spürte nichts mehr im Nacken. Es war ein richtiges Gemetzel.
»Wie hässlich du geworden bist!«, rief Farida, als sie mich wenig später sah, der Grund dieses Massakers interessierte sie gar nicht.
Den Führer habe ich mehrere Tage nicht mehr gesehen, dafür allerdings bekam ich seine Frau zu Gesicht.
Es war anlässlich des Festes zu Aid al-Fitr, dem Tag des Fastenbrechens, an dem der Ramadan offiziell beendet wird. Für gewöhnlich ein schönes Fest im Kreise der Familie, mit Gebeten am Morgen, einem Spaziergang zur Moschee, danach Besuchen bei Eltern und Freunden. Ein Tag, den ich als kleines Mädchen über alles liebte. Doch was war von diesem Fest in Bab al-Aziziya zu erwarten, oder vielmehr zu befürchten? Ich hatte keinerlei Vorstellung. Mabruka versammelte uns am Morgen.
»Schnell, zieht euch was Anständiges an. Und dass ihr euch gut benehmt! Die Frau des Führers kommt.« Safia? Die Gattin? Ich hatte in der Vergangenheit mal ein Foto von ihr gesehen, aber ich war ihr noch niemals begegnet. Ich glaubte gehört zu haben, dass sie irgendwo auf dem Gelände von Bab al-Aziziya ihr eigenes Haus besaß, aber dort schlief Gaddafi nie, und sie trafen nur selten bei öffentlichen Veranstaltungen zusammen. Der Bruder Führer, erklärter »Feind der Polygamie«, lebte mit vielen Frauen, nur nicht mit der eigenen. Allenfalls wusste man, dass er jeden Freitag in seine Villa im Wald von Al-Murabaat, an der Straße zum Flughafen, fuhr, wo er seine Töchter traf.
Die Nachricht schlug jedenfalls ein wie ein Blitz: Die Sexsklavinnen hatten sich schnell mal in Dienstboten und Hausmädchenzu verwandeln! Als Safia nach zahlreichen anderen Besuchern das Haus betrat, herrschaftlich, mit hochmütiger Miene, und den Weg zu den privaten Räumlichkeiten des Führers einschlug, war ich folglich mit den anderen Mädchen in der Küche, beschäftigt mit Geschirrspülen, Reinigen des Backofens und Schrubben des Fußbodens. Ein Aschenputtel. Kaum aber war sie weg, als Mabruka lautstark verkündete: »Alles wieder normal!«
In der Tat, alles war wieder normal: Gleich darauf ließ der »Meister« mich rufen. »Tanz!« Er hatte auch Adnan zu sich bestellt, einen ehemaligen Wachmann der Sondereinheiten, verheiratet (mit einer von Gaddafis nahezu offiziellen Mätressen) und Vater zweier Kinder, den er häufig zu sexuellen Beziehungen zwang. Er hat ihn in meiner Gegenwart von hinten genommen und gebrüllt: »Jetzt bist du dran, Schlampe!«
5
Harem
Dann aber flog er für sechs Tage in den Tschad, Mabruka, Salma, Faiza und viele Mädchen im Gepäck. Vielleicht ist das die Gelegenheit, sagte ich mir, dass ich Mama sehen kann. Und ich versuchte mein Glück bei Mabruka, ich bat sie flehentlich, mir zu erlauben, dass ich sie in der Zeit ihrer Abwesenheit besuchte.
»Kommt nicht in Frage!«, erwiderte sie. »Du bleibst in deinem Zimmer und hältst dich bereit, jederzeit nachzukommen für den Fall, dass dein Herr dich verlangt. Dann schicke ich ein Flugzeug, um dich zu holen.« Ein Flugzeug ...
Also habe ich meinem Körper ein wenig Ruhe gegönnt.Ein Körper, der ständig von blauen Flecken und Bisswunden übersät war, die nicht heilten. Ein müder Körper, der nur noch Schmerz war und den ich nicht liebte. Ich rauchte, knabberte, dämmerte vor mich hin, lag auf dem Bett und sah mir auf dem kleinen Fernseher in meinem Zimmer Videoclips an. Ich glaube, ich dachte an nichts. Am Tag vor ihrer Rückkehr gab es allerdings eine große Überraschung: Ein Chauffeur von Bab al-Aziziya hatte Order erhalten, mich für eine halbe Stunde in die Stadt zu fahren, damit ich die 500 Dinar ausgeben konnte, die ich gegen Ende des Ramadan erhalten hatte. Es war unvorstellbar. Ich entdeckte die Süße eines Frühlingstages, ich war geblendet vom Licht wie eine Blinde, die zum ersten Mal die Sonne sieht. Unser fensterloses Kellergeschoss war so feucht, dass Mabruka dort Kräuter verbrennen ließ, um den Modergeruch zu vertreiben.
Der Chauffeur fuhr mich in ein schickes Viertel, und ich kaufte mir einen Jogginganzug, Schuhe, eine Bluse. Ich wusste überhaupt nicht, was ich nehmen sollte. Ich hatte nie über eigenes Geld verfügt und war vollkommen ratlos. Und außerdem, womit sollte ich mich schon einkleiden? Zwischen seinem Zimmer und meinem brauchte ich so
Weitere Kostenlose Bücher