Niemand hört mein Schreien: Gefangen im Palast Gaddafis (German Edition)
den hinteren Reihen entdeckte ich mit Freude Jalal. Der Führer reiste mit einer anderen Maschine.
Wir landeten in Bamako, der Hauptstadt von Mali, und erlebten einen Empfang, wie ich ihn mir nie hätte vorstellen können. Wahnsinn! Roter Teppich für Gaddafi, der in weißem Anzug darauf posierte, eine grüne Afrika-Karte auf die Brust genäht. Der malische Präsident, seine Minister und eine Schar hochrangiger Amtspersonen überboten sich gegenseitig an Aufmerksamkeiten für den »König der Könige von Afrika«. Und vor allem eine fröhliche Menge in nahezu ekstatischer Erregung sang, schrie, tanzte und brüllte: »Willkommen, Muammar!« Man sah Folklore-Gruppen, traditionelle Tänze, Dogon-Masken. Alles vibrierte und wogte. Ich traute meinen Augen und meinen Ohren nicht. Sehr schnell aber hatte Mabruka die Situation wieder unter Kontrolle. Sie bedeutete uns, uns auf der Seite zu sammeln und zu einer Kolonne startbereiter Geländewagen zu begeben, die von unseren gewohnten libyschen Fahrern gefahren wurden. Ganz Bab al-Aziziya schien mit hierher gereist zu sein. Die Menge säumte auch den Weg des Konvois, tanzte und skandierte immer wieder den Namen von Gaddafi. Ich war sprachlos. Wie ist es möglich, dachte ich, dass er so sehr geliebt wird? Sind diese Leute aufrichtig? Oder hat man sie einer Hirnwäsche unterzogen wie in Libyen?
Wir kamen im Hotel Libya an, eine für das Protokoll zuständige Frau, Saana, geleitete uns in einen Salon, wo wir in Ruhe eine Zigarette rauchen konnten. Dann setzte der Konvoi sich wieder in Bewegung. Es waren an die hundert Autos,Zelte, Nahrungsmittel, eine aberwitzige Logistik. Die Straßen waren verstopft, die Afrikaner klatschten, wo wir auch durchkamen, die Mädchen im Wagen lachten. Ja, die Atmosphäre war fröhlich, beinahe karnevalesk. Ich fühlte mich wie im Kino. Aber während wir in die Menge zurücklächelten, konnte ich nicht umhin, die Situation als unglaubliche Ironie zu empfinden. Da holte man uns aus dem Keller heraus, damit wir uns in der Sonne zur Schau stellten und zu seinem Ruhm beitrugen.
Ich wusste weder etwas von unseren Reisezielen noch von den Präsidenten, Ministern und Botschaftern, die wir trafen. Nichts vom persönlichen Programm des Führers. Wir folgten wie ein Hofstaat, ohne uns Fragen zu stellen. Der Beginn der Reise war sehr anstrengend, denn wir fuhren fast tausend Kilometer von Nord nach Süd durch ganz Guinea, um in die Hauptstadt Conakry zu gelangen. Das Einzige, was die Mädchen in meiner Umgebung interessierte, war unsere Unterbringung. Sie hofften auf luxuriöse Hotels mit Disko und Pool. Ich selbst habe bald begriffen, dass ich dieses Glück nicht haben würde. Denn während Amal und die anderen zu einem Hotel fuhren, befahl Mabruka mir, dem Meister zu folgen, der in einer offiziellen Residenz, einer Art Schloss, logieren würde. Ich sollte mein Zimmer mit Afaf teilen, aber mitten in der Nacht wurde nur ich, nicht sie, zum Führer gerufen. Er schlief nicht, schritt nackt, mit düsterer Miene und irgendwie in Angst, im Zimmer auf und ab. Er drehte sich um, nahm das rote Handtuch, das ich schon von ihm kannte, und trocknete sich die Hände daran ab, ganz in seine Gedanken versunken, ohne meine Anwesenheit überhaupt zu bemerken. Gegen Morgen warf er sich auf mich.Im Laufe des nächsten Tages traf ich die übrige Gruppe wieder, Amal, Jalal und alle anderen. Sie wohnten in einem prachtvollen Hotel, und die Stimmung war ausgelassen. Ich hatte so was noch nie erlebt. Mabruka hatte verlangt, dass ich zum Abend ins Schloss zurückkehre, aber ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, den anderen in die Disko zu folgen. Die Lichter flackerten, die Mädchen rauchten und tranken Alkohol und tanzten eng umschlungen mit Afrikanern. Sirte und meine Familie erschienen mir so fern. Ich war auf einem Planeten gelandet, wo der Glaube und die Wertvorstellungen meiner Eltern nichts galten. Wo mein Überleben allein von Eigenschaften oder Täuschungsmanövern abhing, die sie verabscheuten. Wo alles auf den Kopf gestellt war. Jalal beobachtete mich von fern. Ich begegnete seinem Blick, und das genügte, um mich glücklich zu machen. Doch er kam näher. »Vor allem trink nicht«, riet er mir. Das hat mich tief berührt. Er war so nett! Die anderen Mädchen forderten mich indessen ständig zum Alkohol auf. Die Musik wurde immer lauter, die Disko war inzwischen rappelvoll, die Atmosphäre aufgeheizt. Jalal gab mir einen Kuss auf den Mund. O la la ... All das war
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