Niemand kennt mich so wie du
dass er ständig von vielen Leuten umringt war und dass immer jemand darunter war, der sich darüber lustig machte, wenn er sich abends oder vom Golfplatz aus bei seiner Frau meldete. Möglich, dass Lily von ihrem eigenen Ehemann wie eine unbezahlte Prostituierte behandelt worden war, doch jetzt fuhr er für drei Tage weg. Sie ließ ihn im Schlafzimmer schmollen, und als sie beschwingt den Flur entlangging, tat sie es mit einem Lied im Herzen. Free Nelson Mandela, Mandela will be free. Oh, Nelson Mandela! Lily legte das Telefon neben sich auf den Tisch. Nur zur Sicherheit. Sie sah sich in dem Raum nach einer ruhigen Ecke um, wo sie notfalls binnen fünfmal Klingeln rangehen konnte, und entdeckte einen etwas abgelegenen Bereich. Das wird im Notfall reichen.
«Spionierst du etwa den Laden aus?», fragte Clooney amüsiert.
«So was in der Art.»
Sie warfen einen Blick in die Speisekarte. Clooney wählte eine Pizza. «Es riecht so gut.»
Lily hatte Appetit auf Nudeln, irgendwas Würziges mit viel Hühnchen. Ihr Körper brauchte dringend Eiweiß.
«Wann hast du eigentlich das letzte Mal was gegessen?», fragte Clooney, als er sah, wie sie die Nudeln verschlang.
«Vor ein paar Tagen, vor einer Woche, vielleicht?», antwortete sie nüchtern.
«Du hast abgenommen», sagte er. «Du bist nur noch Haut und Knochen.»
Er nahm ihre Hand und umfasste mit Daumen und Zeigefinger das Handgelenk, und es blieb noch viel Platz zwischen seinen Fingern.
«Hast du mich etwa zum Abendessen eingeladen, um mich aufzupäppeln?»
«Nein», sagte er, «das war rein egoistisch.» Sanft legte er ihre Hand zurück auf den Tisch. «Geht es dir gut?»
Ihr war klar, dass er nicht fragte, um höflich zu sein oder weil ihm nichts anderes einfiel. Er sorgte sich um sie, und es interessierte ihn wirklich, wie es ihr ging. Diese unglaublichen Augen durchdrangen mühelos die Fassade der fröhlichen Little Miss Sunshine und sahen ihr direkt in die Seele. Ihr blieben nur zwei Möglichkeiten: Entweder wandte sie sich ab und senkte den Blick lang genug, um sich eine Lüge auszudenken, oder sie hielt ihm stand und gab zu, dass es ihr nicht gut ging.
«Ja, toll!», sagte sie und sah über seine Schulter hinweg zum Fenster hinaus.
«Lügnerin», sagte er. Dann wechselte er das Thema, und sie unterhielten sich über Politik.
Ihr fiel auf, dass er tatsächlich zuhörte, wenn sie sprach, und auch wenn sie nicht einer Meinung waren – was bei ziemlich vielen Punkten der Fall war –, machte er sie nicht runter oder bevormundete sie. Sie diskutierten über die amerikanische Außenpolitik, wobei sie der Meinung war, die USA sollten sich aus dem Irak und Afghanistan zurückziehen. Und sosehr es ihn auch schmerzte, er argumentierte dagegen, dort einfach alles stehen und liegen zu lassen.
«Wenn du sehen könntest, welche Schäden dort angerichtet wurden.»
Er diskutierte sehr leidenschaftlich, aber ohne aufgeblähtes Ego oder jegliche Selbstgefälligkeit. Wenn er eine andere Meinung vertrat, wurde er trotzdem nie herablassend. Lily empfand seine Art als angenehm, denn er blieb nett und ruhig und hatte einfach nur Spaß daran, sich mit ihr auszutauschen.
Lily brachte ihn zum Lachen, lauthals und aus voller Kehle.
Er mochte ihre Spezialausdrücke.
«So ein belämmerter Scheibenhonig – seien wir doch ehrlich.»
Er mochte ihr sonniges Gemüt.
«Es gibt immer etwas, für das man dankbar sein kann. Schuhe zum Beispiel, und die Stereophonics.»
Besonders bezaubert war er von ihrer Vorliebe für Anzüglichkeiten oder schmutzige Witze.
«Kennst du den mit dem geilen Piloten?»
«Nein.»
«Als das Flugzeug sich im Landeanflug befindet, ertönt eine Durchsage des Piloten: ‹Meine Damen und Herren, hier spricht Ihr Kapitän. Wir befinden uns im Landeanflug auf den Flughafen Dublin. Im Namen der gesamten Besatzung bedanke ich mich dafür, dass Sie heute mit Air Lingus geflogen sind. Wir hoffen, Sie hatten einen angenehmen Aufenthalt an Bord.› Der Pilot vergisst, das Mikrophon auszuschalten. Er wendet sich an seinen Copiloten und sagt: ‹Oh Gott, Bernard, ich hätte vor dem Start lieber kein Curry essen sollen. Nach der Landung fahre ich direkt ins Hotel, gehe richtig schön scheißen, und dann lasse ich mir von Jenny, der neuen Stewardess, einen blasen.› Die beiden Männer lachen. Jenny, die mit dem Blick zu den Passagieren auf ihrem Stuhl sitzt, springt auf, hetzt ins Cockpit, stolpert über den Gehstock einer alten Dame und landet auf dem Rücken.
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