Niemand kennt mich so wie du
bombardierte er sie mit Fragen.
«Wo bist du?»
«Im Supermarkt.»
«Warum hat es so lange gedauert, bis du rangegangen bist?»
«Himmel noch mal, Declan, ich musste das Telefon erst aus der Tasche kramen!»
«Wer ist bei dir?»
«Buffy die Dämonenjägerin. Willst du sie sprechen?»
«Kein Grund, frech zu werden. Ich mache mir nur Sorgen um dich.»
Jedes Mal wenn Declan sie ausquetschte oder mit Fragen schikanierte, wo sie war oder wohin sie fuhr, was sie tat oder mit wem sie zusammen war, behauptete er, es läge daran, dass er sich Sorgen machte, und Lily hatte seine Schikanen sehr lange als Zeichen seiner Liebe zu ihr interpretiert, wenn auch als ziemlich lästige. Doch etwas in Lily geriet in Bewegung, und zum ersten Mal seit langer Zeit machte sie die Augen auf und betrachtete ihr Leben durch eine Brille ohne rosarote Gläser. Wenn ich wüsste, dass ich bald von dieser Welt scheiden muss, würde ich dann alles anders machen? Sie hatte Declan eigenhändig dabei geholfen, über die Jahre ein Gefängnis um sie herum zu errichten. Sie wurde im selben Jahr Ehefrau und Mutter. Während ihre Altersgenossinnen ausgingen, um zu trinken und zu feiern, und mit Hilfe von Drogen oder Büchern ihren Horizont erweiterten, saß Lily zu Hause und stillte, litt unter Schlafentzug und stärkte einem künftigen Herzchirurgen den Rücken. Da sie immer bei allem, was sie tat, herausragend war und Declans Traum von der hingebungsvollen Ehefrau erfüllen wollte, wurde sie die beste Hausfrau, die sie werden konnte, und das nahm Zeit in Anspruch. Von Anfang an kochte Lily für ihren Ehemann und die Kinder unterschiedliche Gerichte. Scott war in Bezug auf die Mahlzeiten schon immer sehr heikel gewesen, und Declan arbeitete während seiner Assistenzarztzeit rund um die Uhr. Dann kam Daisy, eine weitere schwierige Esserin, und zudem unterschied sich ihr Geschmack grundlegend von dem ihres Bruders. Zu jener Zeit war es für Lily einfacher, den Kindern unterschiedliche Mahlzeiten zuzubereiten, aber zur gleichen Zeit. Und so aßen Lilys Kinder nachmittags um fünf zu Abend, dann wurden die Teller gespült und der Tisch neu gedeckt, sodass Declan nach Dienstschluss nur noch anzurufen brauchte, woraufhin sie für ihn noch einmal frisch kochte. Während der Woche wünschte Declan zwei Gänge, und am Wochenende bestand er auf drei. Als die Kinder noch klein waren und naturgemäß mehr Arbeit machten, konnten Declan und Lily sich noch keine Putzfrau leisten. Schließlich waren sie finanziell aus dem Gröbsten raus, und Declan erklärte sich sogar bereit, eine Putzfrau zu bezahlen, aber da hatte Lily ihren Haushalt längst perfekt im Griff. Alles war an seinem Platz, sie war die Herrin im Haus, und die Vorstellung, dass jemand hinter ihr, ihrem Mann oder ihren Kindern herräumte, behagte ihr überhaupt nicht. Von den Nachbarinnen hatte sie schreckliche Geschichten über Putzfrauen gehört, die klauten oder – schlimmer noch – Kommentare über schmutzige Kinderunterhosen fallen ließen, die versehentlich noch auf dem Boden lagen. Lily missfiel der Gedanke, dass irgendwer die Unterwäsche ihrer Kinder kommentierte, und während sie Frühstückseier briet, Schulbrote schmierte, bei deren Anblick fremden Kindern regelmäßig das Wasser im Mund zusammenlief, und in zwei Schichten warme Abendmahlzeiten kochte, putzte sie auch noch das Haus vom Keller bis zum Dach und kümmerte sich rund ums Jahr um die notwendigen Gartenarbeiten. Sie kutschierte die Kinder zur Schule, zum Rugby, Ballett, Fußball, Klavierunterricht, zu Freunden, Parties, in die Disco, in Bars, Nachtclubs und zum Reitunterricht. Ehe sie es bemerkte, war jede einzelne Minute eines jeden Tages fest verplant, und es blieb keinerlei Raum, um von diesem Plan abzuweichen. In den ersten Ehejahren übernahm Lily ausschließlich die Nachtschichten und hatte immer eine Woche Dienst und eine Woche frei. In den Wochen, wo sie arbeitete, kam sie um acht Uhr morgens nach Hause und gab sich mit Declan, der ins Krankenhaus fuhr, die Klinke in die Hand. Sie machte ihren Kindern das Frühstück, richtete ihnen die Schulbrote her, und wenn sie aus dem Haus waren, legte sie sich für fünf Stunden schlafen. Danach putzte sie das Haus, ging einkaufen, kümmerte sich um den Garten, holte dann die Kinder ab und kutschierte sie durch die Gegend, ehe sie ihnen um fünf Uhr ihr Abendessen servierte und danach für Declan kochte, je nachdem, wann sie ihn zu Hause erwartete. Lilys Nachtschichten
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