Niemand kennt mich so wie du
an und gingen in ein Hotel in Süddublin zum Leichenschmaus. Sie tranken und sangen und erzählten sich alte Geschichten über einen Jungen und Mann, den sie gekannt und geliebt hatten und den sie vermissen würden.
Fiona stand unter Beruhigungsmitteln, genau wie Bens Mutter. Bens Tante Celia hatte sie ihnen verschrieben. Sie war Ärztin und fand Medikamente in stressigen Zeiten absolut sinnvoll. «Stress gilt nach Autounfällen als Todesursache Nummer eins», sagte sie. Bens Vater sah seine Schwester an, als hätte sie den Verstand verloren. Sie schien gar nicht zu bemerken, dass sie etwas Unangemessenes gesagt hatte, sondern verschränkte lediglich die Arme vor der stattlichen Brust und zog eine Schnute wie eine Ente. Viele Trauergäste benahmen sich eher unangemessen, wenn sie in ihrer Hilflosigkeit versuchten, die Trauernden zu trösten. Die Angehörigen verharrten stundenlang in der Kirche, um die endlosen Beileidsbekundungen entgegenzunehmen, wobei die meisten ihre sowieso schon geschwollenen Hände eher etwas zu fest drückten, weil sie betonen wollten, wie sehr sie meinten, was sie sagten.
«Wenigstens hat er nicht gelitten», sagte Lorna O’Loughlin. «Hätte er gelitten, wäre es wirklich schlimm gewesen.» Wäre Fiona nicht so benebelt, hätte sie wahrscheinlich gefragt, wie viel schlimmer es Lornas Meinung nach denn noch hätte kommen sollen. Ihr noch nicht einmal vierzigjähriger Ehemann war von einem Betrunkenen überfahren worden. Er war tot, seine Organe gespendet, und seine sterblichen Überreste würden gleich in einem dunklen Erdloch verschwinden. Doch sie sagte nichts dergleichen. Sie nickte nur, und Lorna ging davon, froh, mit ihren weisen Worten Beistand geleistet zu haben.
«Gott sei Dank hat er es nicht kommen sehen», sagte Michael Hannon auf die Kirchenbank gestützt zu Bens Mutter. Was zum Teufel soll das denn heißen? Sie nickte und hoffte, dass er schnell weitergehen würde.
«Krebs wäre schlimmer gewesen», sagte irgendwer. Puh!
«Wenigstens starb er, als er noch lebendig war», sagte eine Frau und drückte Bens Vater so fest die Hand, dass es weh tat. Was in Gottes Namen …?
Auf der anschließenden Feier wurde offensichtlich, dass Fiona seit einer Woche nicht mehr richtig gegessen oder geschlafen hatte, denn sie wurde immer bleicher. Bens Mutter hatte soeben ihr zweites Kind zu Grabe getragen, und alle wussten, dass es sehr lange dauern würde, bis sie sich von diesem Verlust wieder erholte – wenn überhaupt. Sie saß einfach nur da und hielt stumm Fionas Hand. Sie sprach nicht, trank keinen Tee, aß kein Stück Kuchen und auch kein Sandwich. Sie starrte nur geradeaus auf einen unsichtbaren Fleck an der Wand, bis sie endlich nach Hause gehen konnte oder Celia ihr die nächste kleine weiße Pille gab. Ben war für seine Mutter der Fels in der Brandung gewesen, genau wie sein Vater es in der Kirche gesagt hatte. Er war ihr Freund und Vertrauter gewesen. Es war keine einzige Woche vergangen, ohne dass Ben seine Eltern besuchte, und obwohl er sich unglaublich gut mit seinem Vater verstanden hatte, war seine Mutter unbestreitbar eine der großen Lieben seines Lebens. Sie wusste das, seine Frau wusste das, seine Familie und seine Freunde wussten es. Es war ein regelrechter Running Gag gewesen.
«Fiona, willst du Ben und seine Mutter zu deinem dir angetrauten Ehemann nehmen?»
Dies gehörte zu den Dingen, die Ben so liebenswert machten. Für diejenigen, die ihre Verzweiflung unter Kontrolle hatten, war Bens Beerdigung die perfekte Feier seines Lebens. Der Alkohol floss, die Musiker spielten, und Gelächter und Tränen wechselten sich ab.
Billy saß ruhig da und beobachtete, wie die Menge den Verlust seines alten Freunds und Bandkollegen beklagte. Billy war nach Amerika ausgewandert, nachdem er in einer Art Lotterie eine Greencard gewonnen hatte. Seine Abreise schlug damals den letzten Nagel in den Sarg einer Band, die schon seit längerem ums Überleben kämpfte. Anfänglich waren sie alle sauer auf ihn gewesen, doch mit den Jahren kamen seine Bandkollegen darüber hinweg. Er zog in den USA seine eigene Elektroinstallationsfirma auf, und wenn er auch nicht Donald Trump war, so beschäftigte er doch dreißig Angestellte, hatte ein hübsches Haus und war in der Lage, seinen vier Kindern etwas zu bieten. Er war das letzte Bandmitglied, mit dem Ben wieder Kontakt aufgenommen hatte, auch diesmal über Facebook. Sie waren erst seit zwei Jahren wieder in Kontakt gewesen, und in diesen
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