Niemand kennt mich so wie du
beiden Jahren erzählten sie einander Dinge, die sie niemand anderem anvertrauten. Vielleicht lag es daran, dass Ben und Billy schon immer einen ganz besonderen Draht zueinander besaßen, vielleicht aber auch daran, dass sie nicht so nah beieinander wohnten. Womöglich war es für Ben einfacher, jemandem, der eine Million Kilometer weit weg lebte, zu erzählen, dass es mit seiner Firma bergab ging und dass er furchtbare Angst davor hatte, sich noch einmal in das Mädchen zu verlieben, das ihm mit neunzehn das Herz gebrochen hatte. Billy hatte natürlich von dem unglaublichen Unfall gehört und auch, wer noch darin verwickelt gewesen war. Als es hieß, Bens Verbindung zu Eve sei rein geschäftlicher Natur gewesen, schwieg er und dachte sich seinen Teil. Ben hatte ihm neulich in einer E-Mail von Eves Rückkehr nach Irland erzählt und davon, dass sie beide beschlossen hatten, sich nicht wiederzusehen. Ben wollte seine Ehe nicht aufs Spiel setzen. Er machte sich wegen der Affäre im vergangenen Jahr heftige Vorwürfe und hatte alles in Frage gestellt – sich selbst, seine Ehe, sein Leben. Wieso habe ich diese Büchse der Pandora nur geöffnet? Wie konnte ich glauben, wir könnten nur Freunde sein? Wie konnte ich Fiona das nur antun? Wie konnte ich mir selbst das antun? Billy war damals dabei gewesen, als Eve Schluss gemacht hatte. Er war sein Freund und hatte ihm geholfen, die Scherben aufzusammeln und wieder auf die Beine zu kommen. Ben hatte um Eve getrauert, als wäre sie gestorben. Sie war grausam und achtlos mit seinem Herzen umgegangen, und sie hätte ihn beinahe zerstört. Wenn Bills Entscheidung, nach Amerika zu gehen, der letzte Nagel im Sarg der Band gewesen war, so war Bens gebrochenes Herz der erste. Trotz allem, was sie seinem Freund angetan hatte, schaffte Billy es nicht, Eve zu hassen, denn all die Jahre über hatte er ihr Geheimnis bewahrt, und erst als er sein Herz schließlich doch erleichterte und Ben bei einem Treffen in den USA von dem Tag erzählte, der auf ihre Trennung folgte, gab Ben seinem ehemaligen Bandkollegen zuerst eins auf die Nase und nahm dann wieder Kontakt zu Eve auf.
«Gut, das habe ich verdient», sagte Billy. «Aber denk dran, du bist glücklich. Mach keinen Blödsinn.»
Als Ben zum ersten Mal mit Eve im Bett gewesen war und später am selben Abend noch am PC über seiner Buchhaltung saß, sah er, dass Billy online war, und schrieb ihn an.
<< Habe Blödsinn gemacht. Mit Eve. >>
<< Warum wundert mich das nicht? >>
<< Ich liebe meine Frau. >>
<< Deinen Schwanz aber offensichtlich noch mehr. >>
<< Wann bist du denn unter die Moralapostel gegangen? >>
<< Als ich denselben Fehler gemacht habe wie du und meine erste Frau, mein erstes Haus und meinen Hund verloren habe. >>
Als Eve nach Irland zurückkehrte und erneut den Kontakt suchte, wäre Ben fast das Herz stehen geblieben. Obwohl sie einander versicherten, dass sie nicht an dem Punkt weitermachen wollten, wo sie vor einem Jahr aufgehört hatten, war Ben im Grunde klar, dass es unvermeidlich war. Er meldete sich online bei Billy.
<< Sie ist zurück. >>
<< Wenn du deine Ehe nicht riskieren willst, dann halte Abstand. >>
Ben versicherte, dass er die Finger von ihr lassen würde, doch als sie sich das nächste Mal schrieben, gab er zu, dass sie sich gesehen hatten.
<< Ich schwöre, sie gibt mir nur ein paar geschäftliche Tipps. >>
<< Kauf ich dir nicht ab. >>
<< Ich sage ja nicht, dass ich sie nicht will. Wir haben uns noch nicht wieder getroffen, weil ich nicht in Versuchung kommen will. Wir schreiben uns nur E-Mails. >>
<< Belass es dabei. >>
Das war der letzte Chat zwischen den beiden Männern gewesen. Obwohl Billy sich mit einer Warnung verabschiedet hatte, war ihm klar, dass Ben sich nicht von Eve fernhalten konnte und es nur eine Frage der Zeit war, bis sie sich wiedersahen. Er hatte in Gedanken eine ganze Reihe von Szenarien durchgespielt, die entweder auf das Ende von Bens Affäre oder das Ende seiner Ehe hinauslaufen würden, aber keines seiner Gedankenspiele hatte auch nur im Ansatz seinen Tod beinhaltet.
In der Hotelbar drängten sich die Trauergäste. Fiona, Bens Mutter, sein Vater und dessen Bruder saßen in einer Ecke. Die beiden Frauen standen völlig neben sich, und die beiden Männer unterhielten sich mit der unerschöpflichen Menge von Leuten, die ihr Beileid bekunden wollten. In einer anderen Ecke saßen die alten Bandmitglieder beisammen und schwelgten in Erinnerungen an die glorreichen
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