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Niemand

Niemand

Titel: Niemand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Rensmann
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glaubten, von dem aber nicht einer gewusst hatte, dass es die wahre Herrscherin des Niemandslandes zu ihnen bringen würde.
    Ninas Herz schlug schnell, der Kloß in ihrem Hals schien so groß wie der tote Trauerkloß. Sie spuckte aus. Nichts weiter als Rotze. Sie mochte sich den Thron verdient haben, aber Trauerklöße konnte nur Ben zum Leben erwecken.
    »Wirst du uns vergessen?«
    »Niemals.« Nina sah nicht auf. Sie wollte nicht in sein Gesicht sehen, nicht mehr weinen, sie wollte stark sein. »Meine Mutter sagt immer, ich hätte ein Gedächtnis wie ein Sieb.«
    Ben lachte. »Du? Dann kennt sie Theo nicht, der vergisst alles, sogar seinen eigenen Namen. Sein Kopf ist nichts als ein Sieb. Ich habe ihn in den letzten Tagen gar nicht gesehen, vermutlich hat er auf halbem Weg vergessen, wohin der Wind ihn rief.«
    »Und ich dachte, ich kenne schon alles im Niemandsland.«
    »Es ist das Ninaland. Niemand gibt es nicht mehr.«
    Sie schwiegen eine Weile.
    »Hörst du das auch?«, fragte Nina.
    Ein Gesang, mehr Jammern als Singen, auf hohem Niveau und in höchster Tonart, durchbrach die Stille.
    »Das sind die Engelssinger. Singende Laberköppe, sie singen von der Einsamkeit.«
    »Es gibt hier noch viel mehr, als ich dachte.« Nina packte sich die Taschen voller Sehnsucht und Hoffnung.
    »Wo sind sie? Die Engelssinger? Wir nehmen sie mit und bringen sie Pin und Nöckel vorbei. Dann sind sie nicht mehr einsam.«
    Vor dem Haus, an dem die Engelssinger traurig sangen, saß Jesus auf einer Bank, die Sonne schien ihm ins Gesicht. Als er Nina und Ben erkannte, strahlte er, kam auf beide zu und umarmte sie. Der Schemen des Heiligen Geistes zeichneten sich neben ihm ab. Er schien sich gut zu erholen.
    »Wir bringen die Engelssinger zu den Laberköppen«, sagte Ben. »Nina möchte das.«
    Die Engel stimmten ein Klagelied an, als Ben sie vorsichtig aus der Wand zog.
    Auf dem Weg durch den Glaubenswald bis zum Haus der Laberköppe begegneten ihnen weitere Bewohner – mit und ohne Namen, von denen sie sich erst noch vor Kurzem verabschiedeten hatten. Sie folgten ihnen. Leise. Sie begleiteten Nina und Ben. Achtsam.
      
    Pin und Nöckel staunten, als Nina ihnen zuwinkte. »Ist es wahr, was der Wind erzählt? Du bist die Herrscherin? Ist es wahr, was der Wind von Greislingen, Toten, Kampf und neuen Namen raunt? Ist das alles wahr?«
    Sie hatten viele Fragen, doch für Antworten blieb keine Zeit. Aber eins mussten sie wissen: »Du bist unser Niemand?«
    Ben nickte. Ihnen blieb die rostfarbene Spucke weg. »Boah«, sagte Pin, und Nöckel meinte: »Wow.«
    Dann entdeckten sie die Engelssingerinnen. Hätten sie gekonnt, wären sie vermutlich vor Begeisterung ums Haus gerannt, stattdessen bewegten sie ihre Arme, zuckten nervös mit den Köpfen und ihre Wangen färbten sich rosarostig.
    Das Gemäuer war brüchig und Ben gelang es ohne Werkzeug, die Engelssinger dicht neben je einem Laberkopp zu platzieren. Nun feierten sie zwei interne Fensterladenhalter-Hochzeiten.
    Nina und Ben verabschiedeten sich. Es wurde Zeit.
        

101.

    Sie standen an der Stelle, an der Ben, als er noch ein Niemand gewesen war, das kleine, weinende Ding zum ersten Mal gesehen hatte. Sie hielten sich an den Händen und schwiegen: Ben und Nina.
    Dann fiel Nina der Brief in ihrer Jeanstasche ein, sie zog ihn heraus und gab ihn Ben. »In ihrem Zimmer war eine Kiste mit vielen Briefen, die sie an deine Oma geschrieben hat. Ich habe nicht alles verstanden, aber dieser Brief hier ist für dich.«
    Ben nahm ihn an sich. »Danke.« Er würde die Zeilen seiner Mutter später lesen.
    »Du musst gehen!«
    »Aber ich darf wiederkommen, nicht wahr? Ich darf zurückkehren, wenn ich älter bin?«
    Ben sah Nina in die Augen und er genoss das Gefühl, von ihr gesehen zu werden, bis er ihrem Gesicht so nah kam, dass er ihren Atem auf seinen Lippen spürte, seinen Mund auf ihren drückte und die Augen schloss. Das war der schönste Moment in seinem Leben, unabhängig davon, ob er gesehen wurde oder nicht. Das Gefühl war das Stärkste von allem, was er je verspürt hatte. Ein Feuerwerk jeglicher Gefühlsnuancen von leckerlieblichzuckersüßem Erdbeerduft bis zu bitterem Angstgeruch explodierte und füllte die Luft um sie herum. Sie küssten sich zaghaft, dann leidenschaftlich. Ihre Herzen klopften im Takt, sie hielten sich aneinander fest, bis der Wind kam und das Funkengemisch aus starken Gerüchen zerstreute. Nina trennte sich, drückte Bens Hand und ging ohne ein weiteres

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