Niemand
zur Seite kickte. Manchmal pfiff er, ab und an streifte er ihre Hand.
Nach Hunderten von Metern, die sie schweigend zurücklegten, stellte Nina fest, dass weit entfernt Gras wuchs – dicht, saftig-grün und kurz, wie die perfekt sitzende Frisur eines Riesen. Hügel säumten nun den Weg. Und sie waren nicht mehr allein.
»Meine Güte, was macht der denn da?« Leise fügte sie hinzu: »Was ist das überhaupt?«
Niemand lachte und zog Nina in einem großen Bogen an dem seltsamen Wesen – ähnlich einem Holzknüppel mit Pinocchionase – vorbei. Aus dem Sack auf seinem Rücken quoll weißer Schaum, den es in quirlartiger Geschwindigkeit, in dem es sich um die eigene Achse drehte, durcheinanderwirbelte und in der Gegend verteilte. Der kühle Wind, der dabei entstand, ließ Nina frösteln.
»Was ist das?«
»Das ist ein Schaumschläger. Komm schnell. Wenn wir in seinen Sog geraten, haben wir keine Chance. Es sind schon andere an seiner Schaumschlägerei zugrunde gegangen.«
Nina erschrak. »Was meinst du damit? Hat er sie erschlagen?«
»Nein, zu Tode gelangweilt.« Er lachte, dann wurde er ernst. »Komm, schnell! Bevor er uns erwischt!«
Sie hasteten an dem wie verrückt Schaum schlagenden Knüppel mit Sack vorbei. Kaum hatten sie ihn hinter sich gelassen, hörten sie von Weitem ein herzzerreißendes Schluchzen.
Das Gras, nun hochgewachsen und unnatürlich dunkel, ragte Nina über den Kopf und umgab den Weg wie eine Mauer. In der Ferne entdeckte sie ein paar wenige Bäume, die wie Wegweiser in den Himmel zeigten.
»Klingt nach unserem Trauerklößchen«, meinte Niemand. Sie blieben stehen. »Der ist mir schon ewig nicht mehr begegnet. Die meiste Zeit versteckt er sich, weil er sich schämt, aber heute scheinen einige Niemandsländer unterwegs zu sein. Vermutlich haben sie von dir gehört und wollen dich unbedingt sehen. Fräulein Klimper hat es bestimmt schon herumerzählt.« Niemand packte sie an den Schultern. »Leise! Dreh dich um. Aber langsam.«
Nina folgte der Aufforderung und sah, dass der Schaumschläger keinen Schaum mehr aufschlug, sondern ihnen hinterherstarrte. Als er bemerkte, dass Nina ihn ansah, drehte er sich weg und wandte sich erneut seiner aufschäumenden Arbeit zu.
»Keine Sorge, wir sind jetzt weit genug von ihm entfernt, aber ich habe ihn noch nie irgendwohin starren oder seine Arbeit unterbrechen sehen. Das machst du!«
»Aber ich mach doch gar nichts!«
»Doch. Du bist hier!« Niemand nahm sie wieder bei der Hand. Ihr Herz klopfte schneller. Sie biss sich auf die Unterlippe und bekam ein schlechtes Gewissen. Ob ihre Eltern sich Sorgen machten? Nina trug keine Uhr und wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war.
»Worüber machst du dir Gedanken?«, fragte Niemand zu ihrer Überraschung und ergänzte: »Die Sorge riecht nach überreifen Bananen.«
»Sie riecht? Nach Bananen?«
»Ja!«
»Ist mir noch nicht aufgefallen.« Nina dachte darüber nach, wonach sie gerochen haben könnte, als sie sich in Niemands Nähe wohlzufühlen begann.
5.
Niemand grinste. Nina hatte einige Zeit den Geruch von süßen Erdbeeren verströmt. Himmlisch! Beinahe göttlich und leckerlieblichzuckersüß. Sie fürchtete sich nicht vor ihm, sondern verliebte sich. Sein Herz schlug schneller. Ein wunderbares Gefühl. Und er roch wie sie – jetzt in diesem Moment. Alles wollte er von ihr und ihrem Land wissen, doch er traute sich nicht, danach zu fragen.
»Über was denkst du nach?«
»Meine Schwester. Bestimmt schiebt sie mir wieder alle Schuld in die Schuhe, dabei hat sie mit dem Streit angefangen und mich im Stich gelassen.«
»Aber deine Schuhe passen noch. Dann wird das nicht schlimm sein.«
Nina blieb stehen und betrachtete ihre Füße. »Klar, die Sneakers habe ich erst letzte Woche bekommen. Wieso sollten sie nicht?«
»Ich laufe nur barfuß, weil Niemand Sonst mir immer die Schuld in die Schuhe schiebt; die sind inzwischen so voll von seinen Anschuldigungen und Vorwürfen, dass ich gar nicht mehr hineinpasse.«
»Aha«, Nina runzelte die Stirn und ging weiter.
»Wenn ich sie wäre, hätte ich dich niemals allein gelassen.« Was Nina nun wohl sagen würde? Aber sie antwortete nicht, verströmte wieder ihren Erdbeergeruch, der sich mit einer kräftigen Würze vermengte. Sie war neugierig auf ihn. Ja, das war Niemand auch – auf sie. Noch nie hatte er sich selbst gesehen, bisher war es ihm auch nie wichtig vorgekommen, aber jetzt wollte er wissen, wie er aussah. So wie Nina? Anders?
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