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Niemand

Niemand

Titel: Niemand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Rensmann
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weit in den Wald zurück. Es kamen mehr. Viel mehr. Chancenlos.
    Niemand hielt Nina fest umschlungen. Die E-Mann-Zehen lenkten sie mit elektrischen Impulsen in den Wald. Ihr Schicksal schien besiegelt. Alles schien vorbei, bevor es überhaupt hatte beginnen können.
    » ABK !«, schrie Niemand. Sie war die Einzige, die jetzt noch helfen konnte, falls sie sich in der Nähe aufhielt. » ABK , ABK . Komm! Komm! Fressen! ABK , ABK ! Komm! ABK . ABK . Komm!«
        

8.

    Dieses Ding an ihrer Schulter jagte Impulse durch ihren Körper, die sich wie Stromstöße anfühlten. Schmerzfrei, aber die entstehende, stetig wachsende Unruhe machte sie nervös, sie wollte das Kribbeln herauskratzen, das sich durch jede Pore unter ihre Haut zwängte. Niemand klammerte sich jedoch zu fest an sie und verdammte sie zur Bewegungsunfähigkeit. Die elektrischen Impulse übertrugen sich auf ihn. Er vibrierte in ihren Armen wie der Roboterhase, den sie vor vielen Jahren zu Ostern geschenkt bekommen hatte und den sie – nachdem die Batterien leer waren – vor Wut an die Wand geworfen hatte. Nina schrie. Es kamen immer mehr. Sie trat nach den Dingern, die aus dem hohen Gras auf sie zueilten und über ihre Beine und an ihren Armen emporkrabbelten wie beinlose Spinnen. Die Dinger strahlten eine metallische Kühle aus, und die Stromschläge machten sie fast wahnsinnig. Zwischen ihren Schreien hörte sie Niemand rufen. Worte, die sie nicht verstand.
    Mit einem Mal wurde es still, das Vibrieren hörte schlagartig auf. Dunkelheit kam über sie. Sekunden vergingen. Bis Hunderte von zehennagelgroßen Lämpchen aufglimmten, die über Ninas Körper wanderten. Sie sah wie ein geschmückter Weihnachtsbaum aus. Leider stellte sich bei ihr keine Vorfreude ein und Geschenke gab es auch keine. Niemand spürte sie dicht bei sich. Die metallischen Dinger krabbelten auf ihnen herum und vereinten Niemand und Nina.
    Zehen. Dicke Onkel, wie ihre Oma sie benannte. Dicke Onkel aus Metall. Kabel hingen wie Sehnen am einen Ende heraus, leuchtende Lämpchen steckten dort, wo der Zehennagel hätte sein müssen. Vielleicht war er auch da, durchsichtig, aus Glas. Nina wollte nicht länger darauf starren und herausfinden, was diese Metallzehen wirklich darstellten. Denn sie sah Niemand. Sie erkannte sein Gesicht nicht, aber seine Konturen zeichneten sich deutlich ab. Das Leuchten der Zehen umrahmte seinen Körper wie eine Korona.
    »Ich kann dich sehen!«, flüsterte Nina. »Ich kann dich wirklich sehen!«
        

9.

    Niemand hob seine Hand und erkannte Finger – Finger, wie Nina sie hatte. Er betrachtete ihr Gesicht und fuhr mit den Fingerspitzen über ihre Stirn, Nase, Wangen. Zum ersten Mal in seinem Leben spürte  und roch er nicht nur, sondern sah, wie er fühlte. Überwältigend!
    »Du bist ein Junge?!«, fragte Nina, als sei sie sich nicht sicher.
    Er konnte nicht antworten, denn noch nie hatte er seine Füße gesehen, noch niemals seine eigenen Hände vor die Augen halten können, noch nie in seinen Bauch pieksen, während er dabei zusah. Und noch niemals war ihm bewusst gewesen, dass er – bis auf ein Leibchen – fast nackt war. Sie standen in einem Meer aus leuchtenden E-Mann-Zehen. Über ihre Arme und Beine, auf den Schultern und Köpfen, rund um ihre Bauchnabel, auf jeder Stelle ihres Körpers krabbelten E-Mann-Zehen herum. Sie brummten leise. Ein Ritual. Schon bald würden Nina und er begraben werden. Begraben unter schrottigen, veralteten Roboterzehen, nichts weiter als dümmliche Metallteile, abgenabelt von den Roboterfüßen, die den Aufstand geprobt und geglaubt hatten, schöner und stärker zu sein als der für sie lästige, hässliche Roboterrest. Sie hatten nicht begriffen, dass sie nur wirklich stark waren, wenn sie mit gesamtem Körpereinsatz kämpften. Aber sie besaßen Macht, mit der sie das Niemandsland nie einnehmen, aber den einen oder anderen unter sich begraben würden. Ein schmächtiger Siegeszug, aber einer, dem zumindest Nina und Niemand zum Opfer fallen sollten.
    Sie lullten Nina und ihn ein, hypnotisieren sie, tilgten ihr Gedächtnis aus. Sie saugten jegliche Erinnerungen aus ihnen heraus, um Nina und Niemand zu Fall zu bringen und niederzutrampeln. Aber es war ihm egal. Nina war hier, er war hier. Sie sah ihn an. In ihren Augen entdeckte er Überraschung, Freude und Bewunderung – und einen kleinen Funken, ausreichend, um in ihm ein Feuer zu entfachen. Er spürte Tränen.
    »Weine nicht!«, flüsterte Nina und strich ihm

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