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Niemand

Niemand

Titel: Niemand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Rensmann
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Hässlich? Dürr wie der Schaumschläger oder ein mit Matsch besudelter Drecksack? Oder doch wie ein fetter …
    »Trauerkloß! Komm schnell zur Seite, sonst überrollt er uns.«
    Niemand war ihm zuletzt vor vielen Jahren begegnet. Sein Körper bestand aus einem einzigen, dicken, runden, fetten Kloß in Kartoffelfarben, mit einem Durchmesser von mehr als zwei Meter. Sein Kopf war auch der Bauch, und der Bauch war auch der Po. Ein Kloß, alles in allem. Das kloßige Fleisch unter seinen schwarzen Augen, die oberhalb des ebenfalls schwarzen, knopfähnlichen Bauchnabels steckten, war dick und gerötet.
    Der Trauerkloß heulte und schluchzte herzzerreißend und viel schlimmer, als Nina geweint hatte. Niemand spürte, wie sich eine kleinere Version des Trauerkloßes in seinem Hals festsetzte. Bald würde er auch weinen und nie wieder aufhören. Nina presste die Lippen aufeinander. »Nicht weinen jetzt, du darfst nicht mitweinen«, warnte er sie und griff nach ihrer Hand.
    Der Trauerkloß rollte auf sie zu, doch anstatt sie unbeachtet zu passieren, stoppte er vor Nina und Niemand. Für einen Moment hörte er auf zu jammern und sah sie an. Tränen kullerten an seinem Kloßkörper hinab und weichten den Boden auf.
    Nina ging einen Schritt zurück, doch Niemand hielt sie zurück. Sie standen viel zu dicht an dem schwarzgrünen Graswald.
    »Warum bist du so traurig?«, flüsterte Nina und wischte sich über die Augen.
    Der Trauerkloß richtete sich auf spillerigen, weißen Keimlingen auf, dürre Arme sprossen blitzartig aus seinem runden Leib. Niemand hatte nicht gewusst, dass der Trauerkloß über Gliedmaßen verfügte, er kannte ihn nur als heulenden Kartoffelkloß, der sich rollend vorwärtsbewegte. Es traf ihn vollkommen unvorbereitet, dass sich die Miene des Trauerkloßes in einen wütenden Fettkloß verwandelte und er seine langen, bleichen Finger um Ninas Hals legte.
    »Sie ist schuld. Nur sie! Sie ist schuld! Sie! Sie! Sie!«
    Nina ließ Niemands Hand los und versuchte, die Keimlingsglieder des Kloßes zu lockern. Sie röchelte.
    »Sie ist schuld!«
    Niemand fühlte sich hilflos und außer »Hör sofort auf!« zu schreien, fiel ihm nichts ein. Doch der fette Trauerkloß beachtete ihn nicht.
    Natürlich, er war Niemand!
    Doch er wollte kein Niemand mehr sein! Und plötzlich war da ein neues Gefühl: stark, mächtig, böse. Wut! Gegenüber seinem Vater und auf diesen verdammten Trauerfettkloß. Mit Geschrei stürzte sich Niemand auf den Kloß und malträtierte ihn mit Fäusten und Tritten. »Hau ab! Lass sie sofort los! Du widerliche Heulsuse!«
    Der Kloß ließ nicht von Nina ab. Jetzt kreischte er, als wäre der Teufel hinter ihm her, aber der war leider nirgends zu sehen.
        

6.

    Nicht weinen, hatte Niemand gesagt. Nicht weinen. Nina kämpfte dagegen an. Sie kämpfte wirklich! Aber der Kloß, der in ihrem Hals steckte, und der irre, sie würgende Kloß, dessen dürre Finger sie vergeblich aufzubiegen versuchte, schnürten ihr die Luft ab. Sein Atem stank nach faulen Kartoffeln. Ihr wurde schwindelig. Immer wieder brüllte er, sie sei schuld an seiner Traurigkeit. Nina schloss die Augen und hoffte, dass dieser Tag nichts weiter als ein Albtraum sei, aus dem sie erwachen würde, sobald sie die Augen öffnete:
    Das Gesicht des Trauerkloßes hatte sich in das eines zerkochten Knödels verwandelt. Risse verunzierten die Wangen. Dellen übersäten das weiche Trauerkloßgewebe, faustgroß und in der Form eines Fußes. Niemand schlug und trat, doch der Griff um Ninas Hals lockerte sich nicht.
    »Hilfe!« Ihr Hals schmerzte und ihr Rufen schien viel zu leise. »Der Trauerkloß bringt mich um! Hilfe! Niemand ist bei mir! Bitte helft uns!«
    An ihrem linken Ohr vernahm sie das Geräusch einer zerplatzenden Seifenblase. Aus den Augenwinkeln erkannte sie einen Zauberstab. Fräulein Klimper saß auf Ninas Schulter. Niemand trat nicht mehr, er rief: »Fräulein Klimper! Endlich. Du musst ihr helfen!«
    »Das geht nicht. Sie muss es sich wünschen, aber dafür muss sie ihre Wimper wegpusten, die sie soeben verloren hat.«
    »Aber wie soll sie das machen?« Niemand klang weinerlich und wütend zugleich.
    Ein Gedonner und Gerumpel, Geballer und Geblitze schreckte Fräulein Klimper auf. »O Graus! Die Gewitterhexe mit ihrem Giftzwerg. Ich muss weg, du hast noch einen zweiten Wunsch frei.« Das bekannte »Pling« ertönte und Fräulein Klimper verschwand so schnell, wie sie erschienen war. Überraschend ließ auch der Trauerkloß

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