Niemand
über eine Wange. Ihre Finger fühlten sich gut an.
Aber wer war sie? Er hatte sie getroffen, vor einiger Zeit. Wo, das wusste er nicht mehr, er erinnerte sich an den Geschmack, den sie auf der Zunge hervorgerufen hatte, und an ihren Geruch. Aber nicht an ihren Namen. Und wer war er? Was war er? Was war sie? Er sah nur noch ihr Gesicht, das von den wundervollen E-Mann-Zehen umrahmt wurde, die eine goldene Lichtquelle wie einen Heiligenschein um sie zogen. Schön war sie. So schön. Völlig egal, wer sie und was er war. Völlig egal. Er blinzelte. Oder war er ein Es? Egal. Egal.
Mehr und mehr glaubte er eine tiefe Leere zu spüren, in die eine noch tiefere, bodenlose Ruhe einzog. Er kicherte. Er glaubte zu kichern, war sich aber nicht einmal sicher, ob es sich wie ein Kichern anhörte, er machte also ein Geräusch, das in seinen Ohren knisterte und sein Herz zum Hüpfen brachte. Und er sah, dass sein Gegenüber, wer oder was auch immer das darstellte, die runden Teile oberhalb des dreieckigen Dings zusammenkniff, den Strich weiter unten nach oben verzog und einen seltsamen Ton von sich gab, der dem ähnelte, den er eben ausgestoßen hatte. Wieder machte das Teil vor ihm so wie er. Vielleicht war er das? Sah er sich selbst? Ein Spiegelbild. Das musste es sein. Er wollte jetzt spielen, spielen mit den liebevollen, einzigartigen, wunderbaren, duftneutralen, geschmacklosen E-Mann-Zehen – den wahren Herrschern von … von was eigentlich? Egal. Niemand war wichtig. Niemand?
10.
Ein Fauchen durchdrang die Barriere zu seinem schwindenden Gedächtnis. Explosionsartig kehrte seine Erinnerung zurück, er strauchelte und hielt sich an dem Mädchen vor ihm fest.
Ein Mädchen.
Nina.
Er sah sie an; ihre Augen, eben noch leer, füllten sich mit Tränen. Ihr Gesichtsausdruck verwandelte sich von emotionsloser Starre in Überraschung und Staunen. Das Licht erlosch, das Summen verstummte.
Niemand drückte Nina an sich. Die Dunkelheit ließ sie beide unsichtbar sein. Er spürte sein Herz gegen ihre Brust und ihres gegen seine schlagen. Ihrer beider leckerlieblichzuckersüßer Erdbeerduft verschlug ihm den Atem. Er wollte sie nie wieder loslassen. Doch er musste.
Ein Fauchen, Miauen, Kreischen! Das darauf folgende Scheppern brachte jeglichen Rest der Erinnerung zurück. Sie waren in Gefahr und mussten den Wald verlassen. Schnell! Nur widerwillig löste er sich von Nina und fasste nach ihrer Hand, zog sie mit sich, durch den dichten, dunklen Gräserwald, weg von den Vergessenheit bringenden E-Mann-Zehen, denn vergessen wollte er nie wieder, nie mehr diesen eben erlebten Augenblick, egal was noch kam.
Sie ließen das Fauchen, Miauen, Kreischen und Scheppern hinter sich, liefen orientierungslos durch das Dickicht.
»Ich glaube, da hinten wird es heller«, sagte Nina außer Atem. Und sie hatte recht.
»Komm. Schnell!«
»Ich kann nicht mehr.« Nina stolperte, doch Niemand hielt sie.
»Wir haben es gleich geschafft. Es ist nicht mehr weit.«
Tageslicht durchbrach den Gräserwald, hieß sie willkommen und zeigte ihnen den Weg zurück ins Niemandsland und aus der Gefahrenzone heraus. Erschöpft sanken sie zu Boden, legten sich rücklings in den Staub, lauschten ihrer sich allmählich beruhigenden Atmung.
»Wo bist du? Ich kann dich nicht mehr sehen.« Ängstlich sah sich Nina um.
»Ich bin hier.« Niemand legte sich neben sie, nahm ihre Hand und betrachtete Nina von der Seite. Noch nie hatte er ein so schönes Ding … Mädchen gesehen wie sie. Noch nie.
»Was war das? Was hat da so furchtbar gefaucht und geschrien? Und diese Zehen. Es waren doch Zehen? Oh Gott. Vielleicht hätte ich doch nach Hause gehen sollen.«
Nina rückte noch weiter weg vom Gras und näher zu Niemand, ihre Beine berührten seine.
»Das war die ABK .«
»Und was ist das?«
Es schnurrte leise. Nina setzte sich auf.
11.
Eine Birne mit vier Beinen, das war der erste Gedanke, der Nina durch den Kopf schoss, als sie die Katze mit dem birnenförmigen Körper sah, die sich an ihre Füße schmiegte. Ihr Fell war kurz und grau gestreift.
»Das ist sie«, sagte Niemand. »Das ist die ABK , die Abrissbirnenkatze. Auf die Schnelle ist mir nur sie eingefallen.«
Die ABK miaute enttäuscht auf und säuselte: »Wer hätte dir sonst helfen sollen außer mir? Bin ich nicht die einzig wahre Macht gegen die E-Mann-Zehen? Nur ich kann sie zertrümmern.« Demonstrierend schlug sie mit einer Vorderpfote gegen einen auf dem Boden liegenden
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