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Niemand

Niemand

Titel: Niemand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Rensmann
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hinaus und bis in die dunklen Verliese hineingeströmt sein.
    Niemand Sonst gab ein gurgelndes Geräusch von sich, dann knurrte er und machte einen Satz nach vorne. Niemand roch ihn und hüpfte zur Seite. Niemand Sonst prallte gegen die Wand. Ein Klirren. Der Schlüssel fiel zu Boden, doch Niemand stand zu weit entfernt. Sein Vater brüllte vor Wut. Aus den Augenwinkeln erhaschte er eine Bewegung. Rot.
    Jetzt blieb Niemand nur noch eins: Rennen!
    Er entfernte sich zu weit von Nina, aber er entwischte seinem Vater. Stolz, Mut, Freiheit. Apfel, Minze und Zitrone mischten sich in den leckerlieblichzuckersüßen Erdbeergeruch und brachten Niemand Sonst dazu, so penetrant nach Pfeffer zu riechen, dass Niemand niesen musste. Er ließ sich nicht von der Wut seines Vaters einschüchtern, rannte aus dem Tor, an der Roten Armee vorbei, die – eingelullt von seinen Gerüchen – nicht reagierte. Erst als Niemand Sonst schrie: »Haltet ihn fest«, bewegten sie sich. Zu spät.
    Niemand entkam seinem Vater. Es war nicht das, was er geplant hatte, aber dennoch triumphierte er. Nun musste er sich nur noch dauerhaft vor der Roten Armee und den Spionen von Niemand Sonst fernhalten, Nina befreien, die Herrschaft des Landes übernehmen und seinen Vater verbannen.
    Eine Prise salzige Verzweiflung kippte über seinen mutigen, stolzen, verliebten Freiheits-Wohlgeruch. Niemand blieb stehen. Wie sollte er das schaffen? Allein.
    Er hörte ein Rascheln. Nicht weit von ihm entfernt entdeckte er einen Sack. Rot. Wie die Armee.
        

46.

    Anton hatte die Burg nur auf Befehl von Niemand Sonst verlassen, stets in Begleitung der Roten Armee. Nun sah er so rot aus wie sie. Sie hatten ihn nicht entdeckt und seinem Gebieter war er auch entwischt. Diesmal war er einer Bitte gefolgt. Liebevoll und zärtlich hatte dieses Mädchen mit ihm gesprochen. Diese Nina. Er glaubte zumindest, dass ihre Worte lieb geklungen hatten, Anton erinnerte sich nicht, dass jemals so mit ihm geredet worden wäre. Und noch nie hatte er Streicheleinheiten erhalten. Er seufzte. Ein bisschen zu laut. Anton musste vorsichtig sein. Niemand Sonst durfte ihn nicht erwischen, und Überhaupt Niemand wollte er auch nicht begegnen. Er kannte die Burgmauern wie das Innere seines Sacks, der genauso leer war wie Niemand Sonst. Hier draußen fühlte er sich unsicher, aber seinen Sack konnte er füllen, Niemand Sonst blieb ein emotionsloser Niemand Sonst. Anton rotzte auf den Niemandswaldboden. Er hasste Niemand Sonst wie niemand sonst. Dann stutzte er und sah sich um. Es roch nach Zitrone, Erdbeeren und Minze. Welch angenehmer Duft. War das seiner?
    Anton huschte von einem Baum zum anderen und versteckte sich.
    Mit der Zeit hüpfte er ein Stück über die Wege, dann quer durch den Wald, streifte Büsche und streichelte Bäume, als hätte er noch nie welche gesehen. In sein Liedchen, das er mit spitzen Sacklippen piff, reihte sich das Gezwitscher der Piepmätze ein. Ein trällernder Chor schallte durch den Niemandswald, glücklicherweise nicht laut genug, um Niemand Sonst zu alarmieren.
    Anton hatte keine Vorstellung davon gehabt, wie gut sich Freiheit anfühlte: Sein leerer Sack füllte sich mit Luft, Licht, Glück und farbigen Eindrücken und roch fantastisch nach Zitronen. Dieser neue Geruch begleitete ihn schon eine Weile. Freiheit und Mut, und er war auch ein kleines bisschen in seine Herrin verliebt. Erdbeeren. Nina. Nach Erdbeeren hatte es auch auf dem Flur der Burg gerochen. So viel Erdbeerduft lag in der Luft. Anton seufzte glücklich, und während er pfeifend durch den Niemandswald tanzte, vergaß er den Grund, der sein neues Lebensgefühl entfacht hatte.
        

47.

    Lilly hatte Drohungen und Versprechungen in die resignierte Meute werfen müssen, bis sie sich endlich in Bewegung gesetzt hatten. Einzig der Stromschwimmer bedurfte es keine Überzeugungskraft, und das erste Mal, seit Lilly im Niemandsland lebte, fand sie Gefallen an diesen Mitläufern. Aber nur zu diesem Zweck, danach sollten sie ihrem Weg folgen und nie wieder ihren kreuzen. Jesus führte die Niemandsländer an und fühlte sich in seiner Rolle wohl, er lächelte und lief beschwingt voraus.
    Lilly und Fräulein Klimper hatten einen anderen Weg eingeschlagen. Um ein Ass im Ärmel zu haben, mussten sie mit den Wölfen heulen. Hätten sie noch länger auf dem Marktplatz um den heißen Brei herumgeredet, könnten sie sich gegenseitig auch am langen Arm verhungern lassen. Lilly schüttelte den Kopf, aber die

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