Niemand
Stimme besaß die Tonlage eines eingeschnappten Dreijährigen, dem nach langem Kampf der Schnuller weggenommen worden war. »Der Teufel! Die Armee soll ihn holen. – Ach was, der ist dumm wie das Dumme Würstchen. – Aber Dummheit steht mir ungefragt zur Seite.«
Er redete mit sich selbst.
»Kämpfe ich ums Niemandsland – das Wohl dieses einzigartigen Landes selbstverständlich –, dann kämpfe ich auch um und für den Thron. Verdienter kann die Macht nicht sein.«
Für zwei Denkpausen blieb Niemand Sonst stehen. »Wen brauche ich dafür? Was brauche ich dafür? Brauche ich überhaupt irgendwen? Hah!« Tänzelnd drehte er sich im Kreis. »Ich bin Niemand Sonst. Ich bin es! Ich brauche Niemand!«
Er schrie auf, hüpfte wie ein wild gewordenes Rumpelstilzchen umher, zerkratzte sich mit den Fingernägeln die Mundschleimhaut, schlug sich auf die Brust, würgte, spuckte Rauchschwaden aus und explodierte fast vor Wut. Er beruhigte sich ein klein wenig, denn sonst hätte seine Existenz ein tragisches Ende genommen.
»Er muss weg. Dieses Niemands-Balg muss endlich aus meinem Kopf und meinem Sprachgebrauch. Niemand ist nix ist Niemand Nix ist gar nix.« Er spie auf den Boden und trat so lange darauf herum, bis die Rotze in nanokleinen Speicheltropfen in alle Richtungen zerstreut war. »Das mache ich mit dir, mein Sohn.«
Niemand Sonst lachte – er hatte noch nie während seines Daseins laut gelacht –, ein bösartiges Lachen, das durch die schmalen Burgfenster drang. Die Rote Armee, die rundum postiert stand und die Burg bewachte, erblasste zu babyrosa.
******
Auch Nina hörte sein Gelächter, als sie auf dem Boden kniete und an dem braunen Stück Stoff zog, das in der einen Schrankecke klemmte. Nun ließ sie davon ab und horchte. Sollte sie sich im Schrank verstecken? Zu Hause hatte sie sich einmal eingeschlossen und war nicht mehr herausgekommen. Suse – ihre Schwester – hatte sich davorgesetzt und sie ausgelacht, erst als Nina sich in die Hose gemacht und geweint hatte, hatte sie Nina befreit. Damals war sie sieben, vielleicht acht gewesen. Suse war ein Biest und eine dumme Sumpfkuh dazu. Nina kicherte. Ob dumme Sumpfkühe auch in die Schule der Dummen und Doofen gingen?
Im Schrank wollte sie sich lieber nicht verstecken. Durch die schmalen Fenster passte sie nicht und zur Tür konnte sie nicht hinaus, aber jeder hinein. Käme Niemand Sonst zu ihr … Sie verdrängte den Gedanken. Der Schrank sah schwer aus, das Bett bestand aus einem Metallgestell. Sie würde sich anstrengen müssen, dann könnte es ihr gelingen, das Bett vor die Tür zu schieben. Doch wenn sie dazu in der Lage war, es zu bewegen, würde auch ein wütender Niemand Sonst dazu fähig sein.
Sie versuchte es dennoch.
Das Bett bewegte sich zuerst keinen Zentimeter, als weigere es sich, nach vielen Jahren der Unberührtheit die ursprüngliche Position aufzugeben. Nina drückte mit den Beinen gegen die Wand und schob rücklings. Das Gestell ächzte und kreischte, dann gab es nach, rutschte nach vorne und Nina fiel auf den Po. Sie rappelte sich auf und drückte, zog und schubste. Endlich stand das Bett vor der Tür. Immerhin.
Nina stemmte die Fäuste in die Hüften, ihr Blick wanderte vom Bett zum Schrank und zurück. Nacheinander nahm sie die Kleiderstange aus dem Schrank, die Bretter und die eine Schublade von der rechten Seite und beschwerte das Bett damit.
»Das ist zu wenig«, flüsterte sie in die Einsamkeit hinein und spürte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten.
49.
»Stopp!« Lilly bremste abrupt, Fräulein Klimper wurde über Lillys Kopf katapultiert, rettete sich mit einem hicksigen »Pling« vor einem erneuten Sturz. Ein zweites »Hicks-Pling« brachte sie zurück. Bevor sie zu schimpfen begann, zischte ihr die ABK zu: »Leise! Da schleicht irgendwer durch den Wald.«
Sie lauschten. Und warteten.
»Wenn du dir jetzt eine Wimper ausreißen möchtest, dann könntest du dir zum Beispiel wünschen, dass dieser Wer-auch-immer dort sichtbar wird«, flüsterte Fräulein Klimper und hielt sich die Hand vor dem Mund, um das verräterische Hicks einzudämmen.
»Du meinst, es ist Wer-auch-immer?« Lilly hatte schon viel von ihm gehört, ihn aber noch nie gesehen.
»Ich weiß nicht, ob es Wer-auch-immer ist. Hicks. Ich wusste bis eben nicht einmal, dass es einen Wer-auch-immer gibt. Vielleicht – hicks – ist es einer von Niemand Sonsts Leuten?«
Lilly antwortete nicht, sie schnüffelte. In der Luft lag ein ihr
Weitere Kostenlose Bücher