Niemand
diesem Land Namen und Ziele geben. Namen, so wie deiner ist.
Nina zitterte nun so sehr, dass ihr der Brief aus den Händen glitt und zu Boden segelte. Sie starrte darauf. Da, wo Worte stehen müssten, waren keine mehr.
Ein Wort fehlte! Niemands Name!
»Aber wie soll er denn heißen?«, schrie Nina den Brief an, trat darauf, hob ihn auf, zerknüllte das Papier und warf es in eine Ecke.
Nina ließ sich aufs Bett zurückfallen, zog die Beine hoch, umklammerte ihre Knie und weinte. »Wie soll er nur heißen?«
Plötzlich nahm sie eine Bewegung neben sich wahr. Erschrocken rutschte sie vom Bett und plumpste auf den Boden.
Die rote Decke setzte sich auf.
43.
Überhaupt Niemand stöhnte. Er hatte in Zwergenkacke gefasst, seine Hände würden mindestens ein halbes Jahr danach stinken, egal wie oft er sie wusch. Die Stille – vor Kurzem noch beruhigend – wirkte jetzt beängstigend auf ihn. Ruhte sich der Heilige Geist von der Folter aus, die er über sich ergehen lassen musste? Die Niemandsländer tuschelten, er müsse ständig Geschichten erzählen, und wenn ihm nichts Neues einfiel, folterten ihn die Kreischzwerge, bis er von seinem eigenen Leid zu berichten wusste. Das würde Überhaupt Niemand auch gefallen. Aber nein, er würde ihn nicht foltern – den Heiligen Geist –, denn er wollte den Thron und dafür bedurfte es eines gebührenden Verhaltens.
Er stieß sich den Kopf am Fels an.
»Verdammt! Warum muss es hier drin auch so dunkel sein?« Seine Stimme echote von den Wänden. Überhaupt Niemand zuckte zusammen, lauschte seinen eigenen, langsam verhallenden Worten und hoffte, dass die Kreischzwerge tatsächlich ausgeflogen waren. Er wartete, horchte in die zurückgekehrte Stille und kroch weiter. Irgendwann musste dieser Tunnel doch enden. Ein gefühltes halbes Leben später – was in dieser Situation nur wenige Minuten andauerte – erkannte Überhaupt Niemand nicht weit entfernt einen Lichtpunkt. Er krabbelte schneller, der Punkt verwandelte sich in einen gelben, flackernden Strich und wuchs zu einem Kreis heran, umso näher Überhaupt Niemand ihm kam. Er fand keine Erklärung, woher die Lichtquelle stammte, bis er sich, nach wie vor auf allen vieren, dem Leuchten gegenüber befand und er ein Stöhnen vernahm. Der Heiligenschein des Heiligen Geistes hatte ihm den Weg gewiesen. Nun wusste Überhaupt Niemand, dass die Gerüchte über die Kreischzwerge der Wahrheit entsprachen. Er hatte nie daran gezweifelt. Und doch schien ihm seine Idee mit einem Mal so verrückt, wie sein Bruder es war. Überhaupt Niemand sollte schneller aus der Höhle verschwinden, als er hineingekrabbelt war – mit dem Heiligen Geist, für seine gute Tat. Er freute sich über seine Schläue und noch mehr darüber, seinem Bruder zu beweisen, dass er sich nicht annährend so blöd anstellte, wie der stets behauptete. In der Höhle war es zu dunkel, als dass er etwas hätte erkennen können, und so konzentrierte er sich auf den Heiligen Geist, den galt es schließlich zu befreien. »Hallo? Leben Sie noch, Sie Heiliger Geist?«
Was für eine dämliche Frage. Natürlich lebte er noch, ein Heiliger Geist starb nicht, zumindest hatte Überhaupt Niemand noch nie davon gehört. »Ich bringe Sie hier raus, werde Sie retten und dann bekomme ich den Thron von Niemand, erhalte Macht. Ich werde Sie in meiner Burg anstellen, als Geschichtenerzähler. Was halten Sie davon? Hallo? Können Sie gehen? Hören Sie mich überhaupt?«
Ein Stöhnen.
Überhaupt Niemand besaß jedoch keine Geduld, die war ihm als kleiner Junge aus der Tasche gefallen. »Hallo? Sie müssen mir schon ein bisschen helfen, Sie Heiliger Geist, sonst kann ich Sie ja nicht retten!«
Doch der Heilige Geist schwieg und Überhaupt Niemand zupfte an dessen Heiligenschein herum, er traute sich nicht, den Heiligen Geist anzufassen, er wusste ja nicht, wie sich ein Heiliger Geist anfühlte und ob er überhaupt fühlbar war.
»Nun kommen Sie schon. Sie sind doch kein Faules Landei, obwohl …« Überhaupt Niemand hielt sich die Nase zu. Vom Gestank her kam der Heilige Geist einem Faulen Landei sehr nahe. Sollte er von seinem Plan abweichen und das Faule Landei liegen lassen? Was dann? Die Antwort auf diese Frage blieb er sich selbst schuldig.
Die Kreischzwerge! Sie kamen!
Er hörte ihre Stimmen. Überhaupt Niemand sah sich um, aber seine Augen hatten sich noch nicht an die Dunkelheit gewöhnt. Für die Kreischzwerge blieb er unsichtbar, doch sie rochen ihn. Ihm
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