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Niemand

Niemand

Titel: Niemand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Rensmann
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fiel nur eine Möglichkeit ein, sich vor ihnen zu verstecken.
        

44.

    »Schscht.« Der rote Sack bewegte sich nicht nur, er sprach auch noch. »Du musst leise sein. Ich bin der Drecksack, habe mich in Schuld gewaschen, um die Rote Armee zu täuschen. Rot kann ich mich vor ihnen verstecken.«
    »Vor der Roten Armee?«
    »Ja, und vor ihm.«
    »Vor Niemand Sonst?«
    Der Sack wand sich in Krämpfen und fuchtelte mit Sackstummelarmen in der Luft herum, als wolle er eine Fliege verscheuchen, bis er zwischen seinem Stofffaltenmund hindurchpresste: »Sag seinen Namen nicht so laut.«
    »Das ist kein Name. Niemand Sonst ist gar nichts.«
    Nina spürte keine Angst und sie war auch nicht mehr traurig. Sie war wütend und Wut fühlte sich gut an. »Du musst mir helfen, hier rauszukommen.«
    »Das geht nicht!«, sagte der einstige Drecksack.
    »Warum nicht?« Nina stand auf und klopfte sich den Staub von der Hose.
    »Ich weiß ja nicht mal, wer du bist.«
    »Ich bin Nina.«
    Der Stofffaltenmund formte ein O und die Sackaugen schienen genauso rund zu werden. » Du bist das also.«
    »Hilfst du mir jetzt? Du bist doch auch hier reingekommen, dann gibt es einen Weg hinaus.«
    »Ich habe mich unter der Tür durchgeschoben. Kannst du das auch?«
    Nina strich dem Drecksack über eine rote Wange. »Ich nenne dich Anton. Hörst du? Du bist jetzt ein Anton, kein Drecksack mehr!«
    Für einen Moment befürchtete Nina, Krämpfe würden ihn erneut schütteln, aber Anton schwieg. Er blickte Nina an, als habe er eine Erleuchtung, dann weinte er. Salzige Tränen lösten die Farbe unter seinen Sackaugen auf.
    »Du darfst nicht weinen«, sagte Nina und strich Anton über den buckeligen Rücken. »Deine Farbe verschwindet und darunter bist du sehr dreckig. Alles ist richtig.«
    Anton schluchzte. »Deswegen flenne ich doch.« Er richtete sich auf. »Darf ich dir dienen?«
    »Dienen?« Nina überlegte kurz.
    Anton lächelte dicke Falten in seinen Sackwanst und nickte eifrig.
    Einen Diener wollte Nina nicht, einen Freund, einen Gehilfen vielleicht, aber Anton sollte ihr nicht vorbehaltlos dienen. Doch für eine Diskussion blieb keine Zeit, darum bat sie: »Du musst Lilly holen. So schnell du kannst.«
    »Lilly?« Antons sackige Stirn schlug Falten, die nur noch ein Bügeleisen glätten konnte.
    »Lilly ist die Abrissbirnenkatze.«
    Anton kicherte: »Ja, ja. Oh«, und wurde ernst. »Er wird euch töten, dich und Niemand. Niemand und dich. Und Lilly und mich sowieso.«
    Nina spürte, wie ihr die Angst die Beine hochkroch und sie fester umschloss als die Wurzeln des Wurzelmännchens. Leise sagte sie: »Geh. Hol Lilly.«
    Anton rutschte vom Bett herunter, hüpfte auf die verschlossene Tür zu, drehte sich noch einmal zu Nina um und zwinkerte ihr zu. Er legte sich wie ein Teppich hin und schob sich zwischen Tür und Steinboden hindurch. Nur ein Stück. Dann stoppte er und rutschte zurück.
    »Was ist?«
    »Ich höre sie, ich rieche sie. Und es riecht nach Erdbeeren. Ich kriege Hunger.«
    »Wen hörst du? Niemand?«
    Anton richtete sich wieder auf, der klägliche Versuch einer knochenlosen und ungefütterten Hülle, faltig und verhungert. »Und ihn.«
    »Niemand Sonst?«
    »Pssschhht!«
    »Schleich dich an ihnen vorbei.« Nina ging auf Anton zu und schloss ihn in die Arme. »Du bist ein Supersack! Du bist ein Anton! Hol Lilly und hilf mir!«
    Eine einzige dicke Träne tropfte aus Antons Tränensack und hinterließ einen hellrosa Pfad auf dem dunkelrot gefärbten Stoff.
    Als er diesmal zur Tür ging, schien er nicht mehr zerknittert zu sein, stolz gebügelt legte er sich auf den Boden und weg war er, der Sack Anton.
    Nina nahm die Briefe und Zeichnungen von Niemands Mutter und legte sie sorgfältig zurück in den Karton. Nur den Brief, den sie zerknittert hatte, strich sie glatt, faltete ihn und schob ihn anschließend in die Gesäßtasche ihrer Jeans. Dann stellte sie die Kiste zurück in den Schrank. Bevor sie die Türen schloss, starrte sie von der rechten in die linke Ecke und zurück – dorthin, wo Rückwand und Bodenbrett aufeinandertrafen. Nina kniete sich auf den Steinboden.
        

45.

    »Du lockst mich aus dem Schloss. Glaubst du, ich merke das nicht? An den Schlüssel wirst du nicht kommen. Du Niemand.«
    Niemand Sonst wollte ihn provozieren, doch Niemand reagierte nicht, er dachte weiter an Nina und der leckerlieblichzuckersüße Erdbeerduft musste längst aus den offenen Fenstern, durch jeden Türspalt hindurch, den Schornstein

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