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Niemand

Niemand

Titel: Niemand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Rensmann
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Heiligen Geist an den nächsten Baum. Stimmen, Gelächter und Gesang drangen an seine Ohren.
        

58.

    Niemand hatte das Liebeswäldchen durchquert. Außer Atem, ein bisschen erregt und voller Sehnsucht stoppte er. Der Zeitschalter befand sich einige Hundert Meter vor ihm. Seine imaginäre rosarote Brille verpuffte, die Liebesklänge erloschen, nur ein vorwitziger Engel zog Niemand an den Haaren, als wolle er ihn nicht aus dem Liebeswäldchen entlassen. Niemand scheuchte ihn fort und der Engel tauchte singend zwischen den rosa blühenden Baumkronen ab.
    Niemand wischte sich Blütenblätter von den Beinen – bewegte seine Zehen, seine Füße. Er lächelte. Ohne darüber nachzudenken, fuhr er sich durchs Haar. Unbeabsichtigt. Elfenstaub rieselte auf den Boden, jedes einzelne Körnchen schlug Wurzeln, aus denen bunte Phantastinaken sprossen.
    Und Niemand war wieder unsichtbar.
    Er sah sich um. Von den Niemandsländern keine Spur.
    ******

    Die Niemandsländer hatten einen Umweg quer durchs Niemandsland gemacht und waren dabei stets auf den Wegen geblieben. Überall aus den Wäldern, den Häusern, von weit entfernt aus dem Inneren der Hügel des Niemandslandes und von noch weiter her, eilten, humpelten oder schlichen Niemandsländer heran – sie trugen keine Namen und besaßen nicht einmal eine Bezeichnung. Und dennoch folgten sie dem Wind, der ihnen zwischen allerlei Flausen auch ein Ziel zuraunte.
    Gut gelaunt marschierten die Niemandsländer, singend, pfeifend, lachend. Manchmal ärgerten sie den Vorderniemandsländer, nur im Spaß natürlich, kitzelten sich, zogen sich an Haaren, Wurstzipfeln oder Nähten und stärkten sich mit den von Tusnelda Laberbacke angelaberten Koteletts. Sie schienen sich keiner Gefahr bewusst. Sie wunderten sich nur hier und da, dass Fräulein Klimper nicht erschien, obwohl viele Niemandsländer ihre Wimpern verloren – unbeabsichtigt oder mit zupfender Nachhilfe. Alle spürten die Veränderung in der Luft, die würzig und süß roch. Sie summten, surrten und schwatzten wie ein mit Honigwein abgefüllter Bienenschwarm und schritten voran – auf den Zeitschalter zu.
    ******

    Niemand Sonst hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten. Das Kreischen des Babys – er duldete keine Babys, er duldete auch kein Geschrei, sofern es sich nicht um sein eigenes handelte – zermalmte ihm das Gehirn. Doch er brauchte beide Hände, um sich einen Weg über den Trümmerhaufen zu erkämpfen, den sie, diese Nina – wer sonst? –, aufgebaut hatte. Pech gehabt. Niemand Sonst war stärker. Es gab Momente, in denen dachte er mit Wohlwollen an Niemands Mutter zurück. Sie hatte ihn durch ihre Fantasielosigkeit nicht getauft, sondern nur geistig erschaffen. Sein unsichtbares Dasein hatte jedoch seine Vorzüge. Vor allem jetzt. Niemand Sonst sprang mit einem Schrei vom Bett und stürmte auf die Bande zu. Wie waren die nur alle hier hereingekommen?
    ******

    Überhaupt Niemand spürte ein Hämmern in seiner Brust. Sein Herz. Kräftig, schlagfertig und voller Lebenslust klopfte es erfreut über all die neuen Gefühle, die es antreiben durfte. Eine Schar voller Niemandsländer wanderte auf der Glaubensallee entlang. So viele Niemandsländer, wie Überhaupt Niemand noch niemals zuvor gesehen hatte. Niemandsländer, die er überhaupt noch nie gesehen hatte, und von denen er nicht einmal wusste, was sich hinter ihrer Erscheinung verbarg.
    »Komm, du Heiliger Geist. Wir schließen uns an.« Dieser gut gelaunten und entschlossenen Niemandsländer-Armee würde sich auch ein Niemand Sonst nicht beugen können. Und Überhaupt Niemand hatte überhaupt keine Lust mehr, mit seinem Bruder zu kooperieren. Zu viel war an diesem seltsamen, langen Tag passiert.
    ******

    Goldgelockte-Giganten-Greisling-Gruppen gingen gut gelaunt gen Gestuhle. Der grelle Glanz des goldenen Gestirns gebar die Greislinge zu Giganten, als die Goldgelockte-Giganten-Greislinge gemeinhin galten.
    ******

    Lilly fauchte, Fräulein Klimper kreischte, Anton versuchte Petit mit leisem Singsang zu beruhigen. Nina presste sich gegen die Wand und lauschte. Wie sollte sie ihre Freunde vor Niemand Sonst retten? Er schrie und sprang vom Bett auf den Boden. Und dann? Sie spürte seine Bewegung im Raum. Schnell wie ein Reptil. Lilly sprang und schien ihn erwischt zu haben. Er brüllte wie ein verletztes Tier, dann flog Lilly durch den Raum, prallte gegen die Wand, rutschte hinunter und blieb zwischen den Trümmern des Schrankes bewusstlos liegen. Nina

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