Niemand
seinerzeit einen Namen gegeben hätte. Ihm. Ihrem Niemand Sonst. Er hätte aus dem Niemandsland sein Land gemacht. Alle Worte, Träume, Lügen, Sprüche, Zitate, Ideen und Weisheiten der Menschen würden verkümmern. Ein wortreiches Leben gäbe es nur noch innerhalb seines Landes. Stattdessen liefen die seltsamsten Gestalten im Niemandsland herum, die sich im Land hinter der Grenze hinter der harmlosen Fassade des Sichtbaren versteckten.
Niemand durfte nie einen Namen erhalten, dann wäre er der Erbe des Landes und mit seinem Namen würde er jegliche Macht seiner Vorfahren erhalten. Eine Macht, von der Niemand Sonst nur Bruchstücke wusste und nicht zu ahnen vermochte, welche Möglichkeiten sich dem neuen Herrscher ergaben.
Bis zu ihrem unfreiwilligen Tod hatte er sie in ihrem Zimmer eingesperrt und bewachen lassen.
Diese Decke! Diese eine Decke hatte sie für Niemand angefertigt. Er hatte den Drecksack danach suchen lassen, doch er war ohne sie wiedergekehrt. Und im Laufe der Jahre hatte Niemand Sonst sie vergessen.
Wo hatte sie die Decke nur versteckt?
Sie. Niemands Mutter. Johanna.
Niemand Sonst drehte sich um. Er träumte und vergaß dabei sein Ziel. Wenige Schritte! Eins, zwei …
Dieses Pfui-bäh-Mädchen, das Johanna so ähnlich war, nicht nur weil sie einen Namen trug – Nina –, versuchte den Zeitschalter zu bewegen. Natürlich vergeblich. Körperliche Stärke besaß sie nicht, wie Johanna. Und nun – Niemand Sonst glaubte seiner Nase nicht: frischer Apfel, aber eindeutig identifizierbar – versuchte sein nichtsnutziger Bruder sein Glück. Verrat! Der größte Verrat in der Familiengeschichte der Niemands. Er würde ihn töten müssen. Später. … drei.
Huch. Das Wurzelmännchen in seiner Wahrhaftigkeit stand direkt vor ihm und wusste es nicht. Es wütete nicht, es lächelte sanft. Was für ein Quatsch. Wenn sie glaubten, mit ihm könnten sie den Zeitschalter bewegen und die Nachtmahre herbeiholen, hatten sie nicht mit Niemand Sonst gerechnet. Das Wurzelmännchen versuchte den Schalter umzulegen, doch Niemand Sonst drückte von der anderen Seite dagegen. Und eins musste er Johanna lassen, sie hatte ihn verdammt noch mal mächtig stark sein lassen.
Der Schalter bewegte sich keinen Millimeter nach vorne. Aber die Greislinge kamen – immer näher. Niemand Sonst wollte nicht zwischen die Fronten geraten. Kurzerhand schnappte er sich die Decke und stürmte Richtung Liebeswäldchen. Kein schöner Ort, aber bis die Schlacht vorüber war, konnte er sich dort verstecken. Und das würde nicht lange dauern.
86.
»Halt!« Nina schrie Petit hinterher, der in seiner Decke schlafend nichts von seiner Entführung mitbekam. »Nein! Hierbleiben!« Welcher Unsichtbare würde Petit stehlen? Überhaupt Niemand! Oh, dieser Verräter.
Die Decke schwebte durch die Luft, dem Waldrand entgegen.
»Wir müssen Petit zurückholen! Wir müssen Petit befreien! Überhaupt Niemand wird ihn töten.« Ihre Verzweiflung und Rufe schienen die Niemandsländer nicht zu erreichen. Zu lange hatten sie in ihrem eintönigen Leben vor sich hin vegetiert, nun waren sie unsicher. Einige blickten zu Boden, sie trippelten von einem Fuß auf den anderen oder hüpften nervös auf einer Stelle, wenn sie nur einen Fuß hatten wie die Zimtzicke, andere sahen in die Richtung, aus der die Greislinge auf sie zumarschierten. Nur noch wenige Atemzüge, dann hatten sie verloren, bevor sie überhaupt zu kämpfen begonnen hatten.
»Wo ist denn der Kampfgeist, von dem der Nikolaus geredet hat?!«
Nina spürte eine Hand auf ihrer Schulter, für Sekunden hatte sie geglaubt, es wäre Niemand, und ihr Herz schlug schneller.
»Ich habe das Bündel nicht geklaut! Nur mein Bruder kann es gewesen sein. Und ich habe ihn nicht bemerkt!«
Doch für eine Entschuldigung und peinliches Schweigen blieb keine Zeit.
»Ich hole Petit zurück. Ich habe mit dem Dieb noch eine Rechnung offen.« Lilly fuhr die Krallen aus.
»Ich komme mit. Dann kann ich dich auf Krawall bürsten. Yippieyeah.« Fräulein Klimper schwang sich auf Lillys Rücken und kämmte mit Händen und Füßen wild ihr Fell gegen den Strich. »Jetzt richtig?«
»Absolut. Auf geht’s.«
»Stopp!« Wieder die Stimme aus dem Nichts. »Ich gehe auch mit, damit rechnet er nicht.«
Lilly blickte skeptisch. »Er riecht dich aber, schon vergessen? Du musst hier kämpfen, damit rechnen die Greislinge nicht. Sie sind gefährlicher als dein Bruder. Beweise uns, dass der Heilige Geist
Weitere Kostenlose Bücher