Niemand
Waschlappen?«
Einige Niemandsländer blickten verschämt zu Boden, andere drohten mit der Faust gen Greislings-Armee. Nur das Wurzelmännchen bewegte sich wankend auf Nina zu. Sie fürchtete sich nicht mehr vor ihm. Sie fürchtete sich vielmehr vor sich selbst und davor, wie wütend die Angst sie werden ließ. Doch diese Furcht gab ihr keine Kraft, so sehr sie sich auch anstrengte, es gelang ihr nicht, den Zeitschalter zu bewegen.
Überhaupt Niemand unterstützte sie, doch das wussten nur diejenigen, die ihn riechen konnten.
»Komm, kleine Nina. Ich drücke und du machst den Tag zur Nacht.« Das Wurzelmännchen lächelte auf Nina hinab.
Nina lächelte zurück und fühlte sich emotional erschöpft. »Ich wollte schon immer mal sehen, wo der Frosch die Locken hat.« Sie legte eine Hand über die Lippen – »upps« – und schlug die Augen beschämt nieder. Doch diesmal erntete sie Kichern und Gackern. Die beginnende ausgelassene Stimmung schien die drohende und näher kommende Gefahr mit einem Mal zu verhöhnen.
»Ja, los! Wir machen die Kröten zur Schnecke!«, rief ein Neunmalkluger.
»Hier stimmt was nicht«, sagte Lilly. »Wo kommen die Floskeln her?« Sie musste sich sehr konzentrieren, keine der herumfliegenden Phrasen laut auszusprechen.
»Da wird ja das Huhn in der Pfanne verrückt«, rief Fräulein Klimper und verdrehte die Augen. »Die haben uns noch gefehlt.«
»Die Greislinge haben die Floskeln losgelassen.« Der Nikolaus fuchtelte mit den Armen in der Luft herum, als wollte er alle um ihn herumschwirrenden Phrasen verscheuchen.
»Wo ist der Phrasendrescher?«, rief er, und die Menge antwortete: »Ja, wo ist er? – Wo ist denn der Phrasendrescher? – Ist er überhaupt hier? – Wer suchet, der findet! – Ich habe ihn nicht gesehen. – Wunder gibt es immer wieder! – Wo ist er? – Der Phrasendrescher?«
»Klein, aber fein. Hier will ich sein, Herr Nikolaus!«
Ein kleines Männchen, so winzig klein, dass Fräulein Klimper dagegen wie ein Riese wirkte, tauchte zwischen den zahlreichen, unterschiedlichsten Beinen und Fortbewegungsapparaten der Niemandsländer auf.
»Fang sie ein! Wir können uns mit übermäßig schlechten Redewendungen nicht aufhalten. Längst ist nicht alles Gold, was glänzt.« Der Nikolaus stampfte wütend über seine letzten Worte mit dem rechten Fuß auf und brachte den Boden zum Beben und das Phrasendreschermännchen zum Hüpfen.
»Los! Hol sie dir!«
Während der Nikolaus und Lilly gegen Floskeln kämpften und die Niemandsländer sich von schwankenden Gefühlen leiten ließen, hatte Überhaupt Niemand versucht, den Zeitschalter zu betätigen. Erfolglos. Nun versuchte es das Wurzelmännchen. Sein Astarm knarrte, als es gegen den Schalter drückte. Das Wurzelmännchen besaß die Stärke eines Orkans, es würde den Schalter mit Leichtigkeit in eine Richtung drücken. Doch der Zeitschalter bewegte sich keinen Millimeter voran. Die Greislinge schon.
84.
»Mir ist schlecht.«
»Wir müssen durch das Liebeswäldchen, dann sind wir schneller beim Zeitschalter.«
Die Greislings-Armee war schon vor einer Weile an ihnen vorbeigezogen, Niemand hatte die Wege verlassen und humpelte neben Anton über den unebenen Boden quer durch die Wälder. Die dicht nebeneinanderstehenden, stark belaubten Bäume schotteten jegliche Geräusche ab und Niemand fühlte sich, als seien Anton und er die letzten Lebewesen im Niemandsland.
Er sehnte sich nach Nina.
»Bei all dem Gesäusel muss ich mich sicher übergeben.«
»Du wirst es überstehen.«
»Niemand Sonst hat gesagt, die Hölle wäre Balsam dagegen.«
Anton rieb sich den Bauch, presste die Lippen fest aufeinander und sah nachdenklich in die Luft. »Aber Niemand Sonst ist wie ein Arschloch.« Er sah zu Niemand, oder dorthin, wo er ihn vermutete. Die Richtung stimmte, er blickte ihm jedoch auf den Bauchnabel: »Huch. Verzeihung.«
Niemand stutzte und sah an sich hinunter. »Konntest du mich sehen?«
»Wie kommst du darauf?«
Dann verstand Niemand. »Du hast recht, mein Vater ist wie ein Arschloch, er sieht vermutlich nur nicht so aus. Und nun komm.«
Schon bald würde der rot gefärbte fette Sack, der nach all den Strapazen viel mehr einem Drecksack ähnelte als jemals zuvor, Niemand sehen. Doch das verriet Niemand ihm nicht. Er fürchtete sich selbst vor diesem Moment.
Zum zweiten Mal betrat er das Liebeswäldchen. Dieses Mal nicht allein, aber auch nicht mit Nina. Doch es blieb ihm keine andere Wahl.
»Oh,
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