Niemand
ist also wahr, was der Wind erzählt? Er ist tot? Dann müsste ich dir dankbar sein, du garstiges, kleines Drecksäckchen. Doch du hast mich verraten. Nichts kann Verrat wiedergutmachen! Hast wohl geglaubt, ich würde dich nicht finden. Aber hier bin ich, und wir zwei sind allein!«
Der Drecksack schien keine Angst vor ihm zu haben. Das irritierte Niemand Sonst. Er runzelte die Stirn und wünschte sich in seine Burg, in sein Zimmer, auf sein Bett. Dort konnte er am besten nachdenken.
»Die Elfen mit ihrem blöden Staub waren es. Sie haben Niemand getötet. Jetzt ist er tot! Das hast du doch gewollt, du widerlicher Niemand Sonst. Du!«
»Gut. Sehr gut. Ein Problem, das sich von selbst erledigt hat.«
Der Drecksack weinte. »Du bist an allem schuld.« Er wütete wie einst das Wurzelmännchen, schlug gegen Bäume, harkte Moos aus dem Boden und schrie: »An allem.« Dann presste es die Hände gegen den Bauch. »Oh, ist mir schlecht!«
»Hast wohl zu viel gefressen?« Niemand Sonst ging einen Schritt auf den Drecksack zu. Er blieb mit seinem rechten Fuß hängen und wäre beinahe gestolpert.
Erst jetzt entdeckte er den Körper seines Sohnes.
Seines toten Sohnes!
Niemand Sonst lachte. »Und schon ist die Decke wertlos!« Er warf sie auf Niemand. »Die Decke, die du hattest finden sollen.« Er packte den Drecksack am Quast und schüttelte ihn.
Ein Schrei, so laut und nah, dass er von Niemand selbst hätte stammen können, durchbrach die Stille. Niemand Sonst zuckte erschrocken zusammen und sah auf den toten Leib seines Sohnes.
Niemand war tot. Elfenstaub hatte viele Eigenschaften, es war auch ein schnell wirkendes Gift für den, der es einatmete. Und Niemand schien eine besonders große Portion in die Lungen bekommen zu haben. Niemand Sonst durfte nicht vergessen, sich später bei den Elfen zu bedanken. Auf diese Idee wäre er natürlich in Kürze selbst gekommen.
Sein Drecksack sah hoffnungsvoll aus. Glaubte er wirklich, die Decke hätte Niemand zum Leben erweckt? So ein Narr!
»Du bist nicht nur ein Drecksack, du bist auch noch dumm dazu!«
Niemand Sonst trat dem Drecksack in die Seite und dann in den Bauch. »Dir zeig ich, was es bedeutet, sich mir zu entziehen. Du Fettsack.«
******
Anton spürte kaum Schmerzen, als Niemand Sonst ihn schüttelte und mit Tritten malträtierte. Er dachte nur an Petit, der in der Decke eingewickelt gewesen war, die Decke, die er auf Befehl von Niemand Sonst hatte finden sollen. Er hatte nie danach gesucht.
Petit. Es war Petits Schrei gewesen, den er gehört hatte. Er lebte! Er jammerte leise. Anton hörte ihn trotz der jähzornigen Schreie von Niemand Sonst. Petit brauchte ihn. Anton musste Petit in Sicherheit bringen. Aber die Übelkeit hinderte ihn, einen klaren Gedanken zu formulieren. Der nächste Tritt traf ihn hart in den Magen. Sein Inneres stülpte sich nach außen und er spie seinen gesamten Inhalt aus. In einem roten Schwall erbrach er die Rote Armee, die er gekonnt in seinen Sack gesteckt hatte. Nun war er sie wieder los.
Anton wurde von Niemand Sonst zu Boden gestoßen. Sein früherer Gebieter kreischte und bewegte sich, als hätte ihn der Tod zum Tanzen aufgefordert.
Anton hatte die Armee auf Niemand Sonst erbrochen. Er fühlte sich erleichtert, die Übelkeit war verschwunden. Rücklings kroch Anton von Niemand Sonst weg, den Blick auf die seltsame Gestalt gerichtet, die sich mit einem Mal materialisierte. Die Armee überzog Niemand Sonst wie einst die Burgmauern und verpasste ihm einen eng anliegenden Anzug, der ihn zum ersten Mal in seinem Leben sichtbar machte. Ein dicker Mann. Seine Mimik schien einst weich gewesen zu sein – das hätte ihm sicherlich nicht gefallen, dem bösartigsten aller Unsichtbaren, der mit seiner Mimik alle Niemandsländer um Gnade winseln lassen wollte. Jetzt zeigte sein Gesicht nur Panik. Er schrie, seinen Mund weit aufgerissen – so weit, dass die Armee auch das Innere seines Körpers überrannte.
»Das ist ja ekelhaft!«
Anton drehte sich überrascht um. Lilly saß direkt hinter ihm.
Auch Fräulein Klimper war da. Sie winkte ihm zu und legte dann einen Finger über die Lippen. Psschscht.
Anton schwieg, aber er musste zu Petit. Er robbte an dem tobenden roten Niemand Sonst vorbei auf den toten Niemand zu. Dort lag die Decke, in der Petit geschlafen haben musste.
Petits Jammern war verstummt.
Wo war Petit?
******
Der kleine Trauerkloß hatte sich einen neuen Schlafplatz gesucht. Eine Höhle, die ihm bekannt und warm
Weitere Kostenlose Bücher