Niemand
von ihren Kämpfen abließen und zu ihr sahen.
»Helft mir!« Sie zog den Nikolaus am Ärmel und das Himmlische Kind an seinem Horn mit sich, mit dem es kurz zuvor einen Greisling zugedröhnt hatte.
»Wir müssen den Zeitschalter bewegen. Sofort!«, schrie sie gegen die galligen Geräusche der Greislinge und das Schreien der Niemandsländer an.
»Ja, holen wir die Nacht«, sagte der Nikolaus. Doch er reagierte nicht. Er sah Nina traurig an. »Ich habe es auch gehört, wir alle haben es gehört. Wir werden Niemand nicht retten können, die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen und auch nicht in die Zukunft lenken. So funktioniert der Zeitschalter nicht. Wir können nur den Tag ausschalten.«
Nina fühlte mit einem Mal unerträglichen Schmerz, der ihren Körper einnahm und so schwer war, dass sie zusammenbrach, auf den Boden sank und weinte. Weinte.
Sie weinten. Alle. Voller Schmerz und Unverständnis.
Der Kampf hatte an Intensität nachgelassen, einige der Greislinge waren tot, noch mehr Niemandsländer hatten ihr Leben gelassen.
Der Nikolaus, das Himmlische Kind, Überhaupt Niemand, ein paar Nervensägen und ein ganzes Dutzend der Stromschwimmer stemmten sich mit aller Kraft gegen den Zeitschalter.
Es gab einen Ruck. Endlich!
Die Nacht überfiel sie, aber diesmal flüchtete keiner in sein Heim oberhalb oder unterhalb des Niemandslandes. Diesmal nahmen sie die Dunkelheit dankbar an und warteten auf alle Kreaturen – die guten und die bösen, die die Nacht gebar.
Die Greislinge schrien und kreischten. Sie wehrten sich, aber diesen Kampf gewannen sie nicht. Sie schrumpften. Des Sonnenlichts beraubt, schien ihre Aggressivität noch größer als zuvor.
Die Statuen erwachten. Die Nachtmahre kamen. Es knirschte und knackte im Unterholz.
Die Niemandsländer zogen sich langsam zurück. Auf dem Schlachtfeld blinkten zum Abschied hier und da bunte Elektroden der zerstörten Roboter auf. Große Schatten stürzten sich aus den Wäldern auf die Greislinge. Sie hatten den Tod dabei. Gallige Geräusche hallten über die Lichtung rund um den Zeitschalter.
»Wir rennen ins Liebeswäldchen. Los! Lauft!«, schrie der kleine Taugenichts, der sich unentbehrlich gemacht hatte, und rannte los.
Alle Niemandsländer, die noch laufen konnten, folgten ihm. Verletzte und diejenigen, deren Kräfte schwanden, wurden getragen. Überhaupt Niemand trug einen Meckersack, der schon lange nicht mehr meckerte, und Tusnelda Laberbacke, die nichts mehr zu labern hatte.
87.
Niemand Sonst rannte, als sei der Teufel hinter ihm her, obwohl der harmlos wie ein Taugenichts war. Angst hatte Niemand Sonst vor keinem der Niemandsländer, die am Zeitschalter standen, als hätte sie jemand – vermutlich Niemand – sie dorthin bestellt. Aber durch die Goldgelockten-Giganten-Greislinge und diesen Aufruhr fühlte er sich belästigt. Doch das zählte alles nicht mehr. Er hatte die Decke – dieses kleine braune Stück Mist, das Johanna für ihren über alles geliebten Sohn angefertigt hatte!
Niemand Sonst stürmte in das Liebeswäldchen, scheuchte Glückskäfer und Butterflügelchen auf und ein paar traurige Engel mit einer lapidaren Handbewegung beiseite. Traurige Engel? Er blieb stehen und verschnaufte ein paar Atemzüge lang. Dieser Stress brachte ihn noch um. Niemand Sonst betrachtete die Bäume, in deren Stämme Herzen eingeritzt worden waren. Irgendetwas schien anders zu sein. Dieses Liebesgedusel interessierte ihn nicht. Aber es duselte keiner. Wo waren die Engel? Die Elfen? Der Liebessingsang? Er lauschte. Weinte da jemand?
Hah. Er mochte es, wenn Tränen flossen. An der Trauer anderer labte er sich zu gern.
Niemand Sonst bemühte sich gar nicht erst, leise zu sein, als er auf die Heulsuse zuging, obwohl er die Heulsuse bei den Kämpfern gesehen hatte. Und der Trauerkloß war tot. Alle Trauerklöße waren tot. Wer also heulte hier im Liebeswäldchen und vor allem warum – ohne ihn zu fragen?
Die Decke hielt er fest gegen seinen Wanst gedrückt. Noch wusste er nicht, wie er sie loswerden sollte. Verbrennen, zerschneiden, zerstückeln, Faden für Faden herauszerren und irgendeinem Vielfraß vorwerfen. Alles schien ihm recht, wenn diese Decke nur endlich für immer aus seinem Land verschwand.
Der Drecksack! Da stand wahrhaftig sein alter Drecksack. In rot. Und so fett wie er selbst. Er heulte um …
Niemand Sonst hielt die Nase in den Wind.
… Niemand?
Nun sah der Drecksack zu ihm und stand überrascht auf.
»Es
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