Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Niemand

Niemand

Titel: Niemand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Rensmann
Vom Netzwerk:
Nachtmahre für einen Moment im Kampf innehalten.
    »Wo ist er?« Nina wunderte sich, dass sie diese Worte ausgesprochen hatte. Sie empfand Schmerz. Ihr Körper gehörte ihr nicht mehr, denn da schien nichts mehr zu sein außer einem Gefühl der Leere, die sich mit Leid, mit Schmerz, mit Trauer, mit Wehklagen füllte. Leerte. Füllte.
    Sie folgten Lilly. Sie folgten ihr, als seien sie allesamt Stromschwimmer, ohne eigene Meinung, ohne eigenes Ziel.
        

89.

    »Petit? Petit, mein Klößchen, wo bist du nur?« Anton hatte die Decke, die Niemand Sonst verächtlich auf seinen Sohn geworfen hatte, mehrfach auseinandergenommen, gedreht, geschüttelt, schließlich zusammengefaltet und Niemands Kopf darauf gebettet. Petit blieb verschwunden. »Es ist aber auch so dunkel hier. Ich brauche den Tag. Ich muss Petit finden. – Sag doch was, Petit!«
    Anton vermied den Blick auf den sichtbar gewordenen Niemand, der im Schein des Mondlichts silbern schimmerte. Der Herrscher. Tot. Durch Elfenstaub. Ein Kind noch, gestorben im Liebeswäldchen. Eine Katastrophe. Ein Jammer. Unfassbar, wenn die Liebe zum Tode führte.
    ******

    Fräulein Klimper trat gegen Rosenblätter, vertrocknete Blüten, kickte Liebesperlen und Liebesknochen zur Seite, doch Petit fand sie nicht. Schließlich hockte sie sich neben Niemand und betrachtete sein Gesicht. Das Gesicht eines Jungen, eines hübschen Jungen, der am Ende Qualen erlitten hatte. Der Elfenstaub hatte ihn sichtbar gemacht – nicht vollständig, an manchen Stellen schimmerte der Boden des Liebeswäldchens durch. Fräulein Klimper strich Niemand eine Haarsträhne aus der Stirn. Sie war dick und die kleine Fee musste sich anstrengen, die Strähne zur Seite zu schieben. Nun wusste sie, wie Niemand aussah, aber was hatte ihm seine Sichtbarkeit gebracht?
    Den Tod.
    Und einen Namen hatte er noch immer nicht.
    Fräulein Klimper weinte leise und streichelte über Niemands Wange. »Nina hat dich sehr lieb, weißt du. Wir haben dich alle lieb, Niemand. Vielleicht wachst du einfach wieder auf. Das geht bestimmt. Du musst es nur versuchen. Wir brauchen dich. Deine Mutter hätte das nicht gewollt. Wenn ich könnte, dann würde ich mir wünschen, dass du wieder lebst, aber meine Wünsche kann ich nicht …«
    Fräulein Klimper sah auf.
    Sie hatte noch nie einen Toten zum Leben erweckt, noch nie hatte einer der Niemandsländer diesen Wunsch geäußert.
    Aber das könnten sie jetzt. Allesamt. Zusammen und mehr. Mit Nina und ihren drei Wünschen.
    Sie sprang auf. »Anton!«
    »Anton!«
    Ein Echo?
    Fräulein Klimper schloss die Augen, ballte die Hände zu Fäusten und blickte, begleitet von einem tiefen Seufzer, auf. Sie kamen alle! Ohne zu wünschen, war ihr Wunsch in Erfüllung gegangen. Nun blieb nur noch eins.
    ******

    Nina hatte, wie Fräulein Klimper, nach Anton gerufen. Jetzt riss Nina den roten Sack in die Arme und presste ihr Gesicht schluchzend in den samtigen Bauch. Der einstige Drecksack, der viel mehr geworden war, strich Nina tröstend übers Haar. Tränen, dick wie Glasperlen, kullerten aus seinen Augen. Lilly saß verloren zwischen den vielen Niemandsländern und Fräulein Klimper musste sich eingestehen, dass sie die überhebliche Abrissbirnenkatze, die als winzige Birnenkatze vor vielen Jahren aus ihrem Kokon – ein Sack, hängend am Birnenbaum – geschlüpft war, mehr als mochte. Fräulein Klimper setzte sich zwischen Lillys Vorderbeine und presste sich an den felligen Bauch. Sie weinte.
    Sie weinten alle.
    Der Witzknubbel, der früher nichts anderes konnte, als dumme Witze zu reißen, weinte. Die Zimtzicke, das Sackgesicht, die Saftsäcke und die Scheibenlecker – sie weinten. Das Honigkuchenpferd grinste nicht mehr, die Stromschwimmer weinten, der kleine Taugenichts lag im Arm von Nummer 32. Sie jammerten leise. Tusnelda Laberbacke und die Besseren Hälften schwiegen. Die Haut des Teufels war blass geworden und die Streithähne hatten längst Ruhe gegeben. Der Nikolaus und das Himmlische Kind – sie weinten. Hibbel und Gibbel standen erstarrt. Das Dumme Würstchen hatte im Kampf einen Zipfel verloren. Es weinte. Die Besserwisser hatten außer Tränen keine Lösung parat. Die Dreikäsehochs hielten sich in den Armen und trauerten, sie waren nur noch zu zweit. Der Feige Hund, längst nicht mehr feige, aber traurig, lag flach auf dem Boden und wimmerte. Der Giftzwerg und die Gewitterhexe knabberten lustlos an ihren Giftgnocchis. Auch Pin und Nöckel, deren Haus einige Kilometer

Weitere Kostenlose Bücher