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Niemand

Niemand

Titel: Niemand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Rensmann
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musste mindestens eine verloren haben.
    Fräulein Klimper drückte sich an Lilly, Nina tröstete Anton und Anton sie. Der Nikolaus stand auf und hob dabei den der Sichtbarkeit mehr und mehr beraubten Niemand vom Boden hoch.
    »Wir gehen zum Thron.«
    »Aber die Greislinge«, schniefte der Nichtsnutz.
    »Die sind keine Gefahr mehr, solange es Nacht ist.« Der Schwarze Mann trat aus dem Schatten eines verblühten Baumes. »Wir passen auf euch auf.« Er schnippte seine Zigarette zur Seite, der Teufel hob sie auf und inhalierte die Glut. Das Feuer schien ihm zu fehlen.
    Sie gingen den Weg zurück, verließen das verblühte Liebeswäldchen, das zum Todeswäldchen geworden war, überquerten das Schlachtfeld und ließen mit Trauer in den Herzen die Gefallenen hinter sich. Sie konnten ihnen nicht mehr helfen. Schon bald würden ihre Seelen in facettenreichen Steinen eingeschlossen werden und denkwürdige Plätze auf dem Thron erhalten.
    Die Nacht war hell, obwohl das Honigkuchenpferd nicht mehr lachte und der Nikolaus seine Taschenlampe zurückgelassen hatte. Nur die phosphoreszierenden Körper der Roboter spendeten Licht und die Krüge der Elfen, in denen die leuchtende Flüssigkeit aufbewahrt wurde, sahen wie fliegende Lampions aus. Die Statuen bewachten den Trauerzug. Die Greislinge blieben verschwunden.
    Ein Ruf zerfetzte die traurige Stille. »Die Decke! Wir haben die Decke vergessen.« Nina blieb stehen, rannte ein Stück zurück. »Ich muss sie holen.«
    »Die Decke ist nicht wichtig. Wir holen sie später«, meinte Fräulein Klimper.
    »Doch, die Decke ist wichtig. Die Decke hat seiner Mutter gehört. Bestimmt. Sie lag in ihrem Zimmer. Versteckt im Schrank.«
    »Es war Niemands Decke. Sie hat die Decke für ihren Sohn angefertigt, das hat er mir gesagt. Niemand Sonst. Der Böse, der!« Das Rot aus Antons Sack hatte sich in hellrosa verfärbt, an manchen Stellen schimmerte Dreck hindurch, Tränen hatten Salzränder hinterlassen. Nur der Saum zeigte noch die rote Farbe, die ihn vor der Roten Armee geschützt hatte.
    »Wir gehen«, sagte der Roboter mit der Nummer 32 auf dem Rücken und meinte sich und den Kleinen Dickkopf, den er auf den Schultern trug.
    Nina blieb keine Zeit zu widersprechen, denn der Roboter lief bereits in Richtung Liebeswäldchen, ohne sich noch einmal umzusehen.
    Und sie dankte ihm in Gedanken dafür, sie wollte nicht fort vom Nikolaus, Lilly, Fräulein Klimper, Anton und all den anderen. Sie wollte nicht weg von –
    Ach, Niemand.
    Wieder weinte sie. Leise. Der Schmerz schien größer zu werden. Er krallte sich an ihrem Herzen fest und nahm ihren Körper ein, als arbeite sich die Verzweiflung zu ihrem Herzen vor, um es herauszureißen. Sollte sie doch! Dann schmerzte es nicht mehr.
    Aber das würde sie nicht. Die Verzweiflung hatte eine Menge Arbeit zu erledigen in dieser Nacht.
        

93.

    Von Weitem erkannten sie das große goldene G, das die Goldgelockten-Giganten-Greislinge auf dem höchsten Turm der Burg aufgestellt hatten. In den Schatten der Finsternis wirkte es wie ein kauernder Gargoyle, der die Burg bewachte.
    Die Niemandsländer hatten zu viel miteinander erlebt, zu hart gekämpft und zu viel verloren, als sich davon abschrecken zu lassen. Die Greislinge hatten sich verzogen, ob sie in der Burg lauerten oder in die Katakomben zurückgekehrt waren und neue Pläne schmiedeten, wussten die Niemandsländer nicht. Die Statuen blieben wachsam.
    Der Thron stand unbewacht auf dem Berg hinter der Burg in absoluter Dunkelheit. Nur seine Umrisse schnitzten Konturen in die Nacht.
    Wenige Schritte vor dem Thron legte der Nikolaus Niemand ins Gras und deckte ihn behutsam mit seiner Jacke zu. Der alte Mann war erschöpft. Doch er hätte sich Niemand nicht abnehmen lassen, diese Bürde wollte er allein tragen.
    Es gab nichts zu sagen. Selbst der Wind schwieg.
    Und doch kannten alle Niemandsländer ihre Aufgaben. Sie bildeten einen Kreis um den Thron und Niemand. Sein Körper zeichnete sich deutlich unter dem Mantel des Nikolaus ab, nur sein Gesicht wies Flecke auf – Flecke, durch die das Gras schimmerte. Seine Unsichtbarkeit kehrte zurück.
    Unsichtbar, namenlos, tot.
    Nina schluchzte laut auf und drückte sich weinend an das knorrige Bein des Wurzelmännchens, das behütend einen Astarm um sie legte.
      
    Die Elfen formierten sich und bildeten ein Herz in der Luft, rahmten den Thron, Niemand, Nina, den Nikolaus, Fräulein Klimper auf Lillys Rücken, Anton und alle, die nah genug standen,

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