Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Niemand

Niemand

Titel: Niemand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Rensmann
Vom Netzwerk:
nützt das Wünschen nichts, weil ich an Nina gebunden bin«, gab Fräulein Klimper Anweisung. Lilly liebte diese kleine freche Fee, besonders wenn sie vom Feenkraut genascht hatte, und ihre klaren Anordnungen machten Lilly stolz. Sie hatte keine Wimper verloren, trotz der Tränen.
    »Ich helf dir«, sagte die Klimper-Wünsche-Fee und ließ sich vom Wurzelmännchen neben Lilly auf den Baum setzen. »Es muss klappen, oder? Niemand darf nicht tot sein. Nicht wegen dieses bescheuerten Elfenstaubs.« Sie hoffte so sehr, die kleine Fee, dass Lilly zur Seite schauen und ihre Tränen verbergen musste.
    »Elfen«, flüsterte Lilly und wischte sich mit der Pfote über die Augen. »Elfen!«, sagte sie lauter. Aus der Mitte des Liebeswäldchens flogen Hunderte Elfen auf sie zu. Sie trugen Glaskrüge. In der klaren Flüssigkeit, die im Rhythmus des Flügelschlags der Elfen gegen die durchsichtigen Wände schwappte, schien die Helligkeit eingesperrt zu sein. Mit einem Mal wurde es taghell. Dampffäden stiegen empor und hätten sich zu Herzen formiert, wenn das Liebeswäldchen nicht mit Niemand gestorben wäre.
    Einer der Krüge war so groß und schwer, dass er von mehreren Elfen getragen werden musste. Sie hielten ihn rechts und links an den Henkeln fest und stützten den Krug zusätzlich, indem sich drei Elfen mit den Schultern gegen den Krugboden stemmten.
    Auch die Niemandsländer sahen die Elfen, und das Raunen und Staunen und Tuscheln schwoll wieder an. Elfen traten sonst nur in kleinen Gruppen auf, doch diesmal schien der gesamte Elfenstaat zusammengekommen zu sein.
    Sie hatten Niemand auf dem Gewissen.
    Lilly miaute. Voller Schmerz. Wütend fuhr sie ihre Krallen aus. Fräulein Klimper schlang ihre Arme um Lillys Hals und flüsterte: »Sie sind nicht schuld. Sie kommen, um zu helfen.«
    »Sie haben Niemand mit ihrem Elfenstreu-Gedöns getötet.«
    »Aber weißt du nicht, was sie in den Krügen tragen?«
    Lillys Ohren hingen schlaff herunter, ihre Pupillen füllten die Iris vollständig aus. Eine Träne quoll aus ihrem Augenwinkel. Fräulein Klimper nahm sie vorsichtig mit der Spitze ihres Zauberstabes auf.
    Eine Wimper schwamm in der Träne.
    Lillys Wimper.
        

92.

    Elfen galten als liebenswert und verspielt.
    Sie sprachen nie, sie sangen nur – und das in den höchsten Tönen. Glücklicherweise war ihr Gesang nur selten zu vernehmen, denn die Stimmen der Elfen klangen schief und schrill. Sie überließen das Singen im Liebeswäldchen den Engeln und streuten lieber all die kleinen Liebesbeweise vermischt mit Elfenstaub über die Besucher des Liebeswäldchens. Goldfarbener Staub, der nicht nur Unsichtbare sichtbar zauberte, sondern das Schöne und das Gute hervorhob.
    Noch nie hatte ein Niemandsländer zu viel Staub eingeatmet, noch nie war ein Wesen an Elfenstaub gestorben. Noch nie hatten die Elfen das Liebeswäldchen verlassen.
    Doch seit dieses hübsche, kleine, goldblonde Mädchen mit dem Namen Nina, für das Niemand so leckerlieblichzuckersüßen Erdbeerduft verströmt hatte, ins Niemandsland gekommen war, hatte sich alles verändert.
    Alles.
      
    Die Elfen verweilten in der Luft über Niemand. Traurig blickten sie auf den Leib hinunter, dessen Sichtbarkeit mehr und mehr nachließ. Sie sahen zum Nikolaus und zu Fräulein Klimper, sie schauten zu Lilly, doch ihren traurig-wütenden Blick ertrugen die Elfen nicht. Sie betrachteten die Niemandsländer und nickten ihnen zu. Sie schwiegen, sie lächelten nicht, sie streuten keine Liebesperlen oder Herzen, der Elfenstaub schien versiegt.
    Eine Elfe, klein und pummelig, flog auf Nina zu, in den Händen einen Glaskrug, der keine klare Flüssigkeit enthielt. Er war leer. Einen Zauberstab wie Fräulein Klimper hatte die pummelige Elfe nicht, mit zentimeterlangen, pedikürten Fingernägeln, die an winzigen Wurstfingern wuchsen, fuhr sie über Ninas Gesicht, zupfte an ihren Wimpern und balancierte schließlich eine mirabellengroße Träne auf einem Nagel. Ninas Tränen vereint zu einer einzigen. Licht brach sich in der wabernden und wackeligen Tränenblase.
    Vorsichtig ließ die Elfe die kostbare Fracht in den Krug fallen. Dann klaubte sie dem Nikolaus seine Tränen aus dem dichten Bart und wischte die tränenreiche Feuchtigkeit vom Wurzelmännchen. Den Elfen mit gefüllten Krügen folgten weitere mit vielen ungefüllten Glaskrügen, in denen sie all die Tränen der Niemandsländer sammelten. Und in diesen Tränen schwammen unzählige Wimpern, jeder der Niemandsländer

Weitere Kostenlose Bücher