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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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ausgesprochen seltsamen Expedition nach Murmansk und vor allem dieser langsamen, schleichenden Autofahrt der folgenden zwei Tage. Sie waren immer an der Grenze entlanggefahren, und er wollte dauernd aussteigen und die Aussicht genießen. Sie hatten einen ganzen Tag damit zugebracht, durch eine Grenzausbuchtung zu fahren, die sich wie ein norwegischer Keil zwischen Rußland und Finnland schob. Ein Weiterkommen war da nicht möglich, sondern man mußte wieder durch Norwegen nach Norden fahren. All das hatte offenbar etwas mit dem zu tun gehabt, was nicht ihre gemeinsame Zeit war. Das war kein Urlaub, sondern Arbeit, und überdies eine Arbeit, für die es ein sehr unangenehmes Wort gab. Das unangenehme Gefühl hatte sich gelegt, sobald sie ihre »Basis« errichtet hatten, ein zugiges Holzhäuschen mit einem offenen Kamin. Es lag unglaublich schön am Ufer von »Enare träsk«. Sie belegte das gewaltige Seensystem hartnäckig mit seinem schwedischen Nahmen, während er Inarijärvi sagte.
    »Dann wollen wir mal wieder. Was ist denn so Besonderes daran, daß sie Felle schmuggeln?« fragte Anna in neutralem Tonfall, als sie wieder im Wagen saßen.
    »Ach, weißt du«, sagte er vorsichtig, da er genau spürte, daß das Gesprächsthema nicht ganz ohne war, »es ist ja nicht uninteressant, daß die hiesige Bevölkerung jederzeit über die Grenze und wieder zurück kann und daß sie einen kleinen, wahrscheinlich lohnenden und unerhört illegalen Handel mit Dingen betreiben, die transportiert werden müssen und sich nicht in die Hosentasche stecken lassen.«
    Er verstummte, denn er fühlte, daß das falsche Thema unausweichlich näherrückte. Es ließ sich ebensowenig aus der Welt schaffen wie Gewitterwolken am Horizont.
    »Was tun wir hier eigentlich?« fragte sie unschuldig.
    Er erkannte, daß er nicht den Ahnungslosen spielen und sie damit beruhigen konnte, wie wunderbar diese gemeinsame Zeit sei. Das stimmte zwar, o ja, aber es ging um den Grund, weshalb sie nicht in die Südsee hatten reisen können.
    »Es besteht die Möglichkeit«, begann er ernst, »daß in einem Monat oder so bestimmte Gegenstände oder Personen über diese Grenze gehen werden. Zufällig ist es etwas, was uns Schweden angeht. Du kannst hoffentlich akzeptieren, daß ich nicht mehr sagen kann.«
    »Natürlich«, erwiderte sie in dem gleichen Tonfall, »aber werden wir irgendwann in diese Schmuggelei hineingezogen werden?«
    »Nein, absolut nicht«, sagte er voller Erleichterung, nicht lügen zu müssen. Er glaubte es tatsächlich.
    »Du sollst also nichts über diese Grenze schmuggeln?«
    »Nein. Ich soll nur eine Basis errichten, und das haben wir schon getan.«
    »Du mußt also nicht auf die andere Seite?«
    »Nein«, log er ohne zu zögern. »Später werden andere Personen übernehmen. Ich bin vor allem hier, weil ich Finnisch kann. Diese Sprache beherrschen in der Firma nämlich nicht viele.«
    Sie nickte. Sie schien es zu akzeptieren und ihre Besorgnis zu verdrängen. Sie sprach eine Weile begeistert über ihr exotisches Nachbarland. Er lachte und sagte, wer wie er aus Ekenäs stamme, halte Finnland dreihundert Kilometer nördlich des Polarkreises für mindestens genauso exotisch. Dabei merkte er selbst, daß sein Finnisch allmählich nicht mehr so eingerostet klang. Die Leute hier oben hörten trotzdem, daß er Finnlandschwede war: das neutralste und liebenswürdigste Wort für etwas, das sich im Finnischen mit zahlreichen Schimpfwörtern belegen ließ.
    »Wie wollen wir Weihnachten feiern?« fragte sie plötzlich. Trotz ihrer scheinbaren Alltäglichkeit explodierte die Frage in ihm wie eine Granate.
    »Hast du einen Vorschlag?« fragte er mit einem schnell erkämpften Lächeln.
    »Ja«, erwiderte sie. »Die Südsee wäre prima.« Dann lachte sie, und er war erleichtert.
    »Übrigens hätte ich schon vor einer Woche meine Tage bekommen sollen«, fuhr sie fort, als wäre es eine Banalität.
    Er brauchte eine Weile, um seine Gedanken zu ordnen und den Inhalt dessen zu beurteilen, was sie soeben gesagt hatte. Dann bog er auf einen der zahlreichen Rastplätze ab. Die Straße verlief parallel zum Seeufer. Er hielt an und gab ihr ein Zeichen auszusteigen. Sie gingen zu einer Steinmauer, die den leeren Rastplatz umgab. Die Touristensaison war längst vorbei. Sie sahen eine Zeitlang auf die vollkommen ruhige blaue Wasserfläche.
    Er holte tief Luft, bevor er sagte, was er nicht länger bei sich behalten konnte.
    »Entweder erwartest du ein Kind, und dann

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