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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Tode vorzustellen. Doch jetzt würde er keine Zeit mehr haben, etwas zu bereuen. Es würde keine Fortsetzung geben, er konnte alles in Gottes Hände legen.
    Dieser Gedanke war ihm noch nie gekommen.
    »Korvettenkapitän«, sagte er ohne das geringste Anzeichen von Nervosität, da er im Augenblick keine spürte, »seien Sie so freundlich, das Zündrohr zu entfernen. Und die anderen Herren bleiben bitte stehen und achten sorgfältig auf das, was sich abspielt. Sie dürfen gern rauchen!«
    Der Korvettenkapitän und sein Kollege wechselten einen nervösen Blick. Einer ging los und holte Werkzeug, während sein Kollege sich eine Zigarette anzündete, das Schiffchen in den Nacken schob und die anderen angestrengt anlächelte.
    Die Arbeit war nach zwei Minuten erledigt. Das Zündrohr quietschte laut in der Stille, als es aus der Granatenspitze herausgezogen wurde.
    »Gut! Arbeiten Sie weiter!« befahl Alexej Mordawin und ging mit energischen Schritten weg, ohne sich umzusehen, ohne den Willen zu haben, die erleichterten Gesichter anzusehen.
    Er betrat sein improvisiertes Büro, holte einige Aktenordner hervor, tat, als studierte er sie, und griff nach einem Bleistift.
    Vor einer runden Minute hätte er von allem befreit werden können. Doch er war hier, atmete und sah, wie seine Atemluft kondensierte.
    Die Frage lautete also, warum er sich nicht geweigert hatte. Kolja hätte ihm das Blaue vom Himmel versprechen und ihn bedrohen können, aber er hätte sich trotzdem weigern können. Eine einfache Weigerung hätte genügt.
    Er versuchte seine Argumente zu ordnen. Einerseits war schon zuviel Zeit verstrichen, ohne daß er die Sache gemeldet hatte. Wenn er zu den Tschekisten oder zumindest zu einem zuständigen Vorgesetzten gegangen wäre, nachdem er Koljas Vorschlag gehört hatte, lägen die Dinge vielleicht anders.
    Andererseits: Zu wem hätte er gehen sollen? Zu den Tschekisten, die Kolja zufolge an der Sache beteiligt waren? Zu dem Vizeadmiral in Seweromorsk, der ihm den Job gegeben hatte, den er jetzt ausübte, weil auch das eine Art höherer böser Wille war?
    Folglich hatte er sich schon jetzt mitschuldig gemacht, für welche Erklärung er sich auch entschied.
    Er suchte nach Ausreden. Er wollte irgendeine politische Erklärung für sein Handeln finden. Er hatte schon immer nach politischen Erklärungen gesucht, da er sein ganzes Leben darauf gedrillt worden war.
    Das Gleichgewicht des Schreckens war eine gute Idee. Es hatte nachweislich funktioniert. Die Menschheit war gerade wegen dieses Gleichgewichts des Schreckens ein halbes Jahrhundert lang von einem großen Krieg verschont geblieben. Es war ein erprobtes und intelligentes Instrument.
    Nehmen wir doch mal an, sagte er zu sich selbst, nehmen wir an, einer dieser Araber bekommt eine funktionierende Waffe in die Hand. Würden die Araber sie als etwas anderes einsetzen denn als Lebensversicherung?
    In dem System, zu dem er selbst gehört hatte, war es um eine Doppelversicherung gegangen. Noch lange nach dem Ende der Sowjetunion hätte sein Schiff rund tausend Mal die Sprengkraft von Hiroshima gegen den Angreifer losschicken können. Es war die Fähigkeit zum Zweitschlag. Das war etwas anderes, eine Doppelversicherung zwischen den Supermächten.
    Aber Atomwaffen in den Händen Ghaddafis oder Saddam Husseins? Wenn die auf die wahnsinnige Idee kamen, die Waffe einzusetzen, wenn sie etwa auf den Einfall kamen, New York von der Landkarte auszuradieren, würden sie den Rächern nackt gegenüberstehen. Also würden sie, wenn sie rational dachten, die Waffe ausschließlich als Versicherung gegen eine weitere Bombardierung und konventionelle Zerstörung einsetzen können. Selbst in den Händen Saddam Husseins würde die Waffe Menschenleben retten. Diese Logik unterschied sich nicht sonderlich von der seines eigenen Offizierslebens.
    Gegen das nächste Glied der Gedankenkette wollte er sich wehren, doch das wäre ebenso heuchlerisch wie unmöglich gewesen. Hunderttausend Dollar retteten die Familie durch alle kommenden Krisen. Sollten sie doch ruhig die Militärakademie in Frunse schließen. Sie konnten die Taifun-U-Boote aus dem Verkehr ziehen und alle Mann an Bord entlassen. Sollten sie doch Schulgeld für die Gymnasien einführen oder sich sonst was einfallen lassen. Seine Familie würde immer versichert sein.
    Das war ein offenkundig egoistischer Gedanke, wie er zugeben mußte. Dem konnte er nicht ausweichen. Ein Mann darf sich selbst nichts vorheucheln, dann ist er kein

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