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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Mann, sagte er sich.
    Er legte den Bleistift beiseite, stand auf und ging durch die mittlere Sektion hinaus. Er tat so, als ob er die verstohlenen Blicke nicht sähe, die ihm folgten. Dann machte er eins der Tore zum südlichen Bahnsteig auf.
    Draußen schneite es heftig. Er machte die Tür hinter sich zu und zog den Reißverschluß seiner Jacke hoch. Bis auf ein großes Lager leerer »vorläufiger Endverwahrungskisten« des neuen Typs war der Bahnsteig leer. Alexej Mordawin schnaubte und schüttelte grinsend den Kopf.
    In westlicher Richtung keinerlei Stacheldraht, nur Dunkelheit und rund tausend Kilometer Wildnis.
    Sie würden also ein paar Tonnen auf Schlitten schleppen. Kolja hatte gesagt, es werde etwa einen Monat dauern. Wahrscheinlich stimmte es. Ein Monat und dann Finnland. Ein Rubel pro Schritt. Nein, es dürfte eher einen Dollar pro Schritt geben. Wer in Rußland würde dafür nicht einen Lastkahn ziehen?
    Wenn sie vor zwanzig Minuten mit dem Zündrohr Pech gehabt hätten, gäbe es jetzt keine Probleme mehr. Er hätte nicht mal etwas gemerkt, hätte nicht mehr Zeit gehabt, etwas zu denken.
    Kein Stacheldraht. Er fragte sich, warum ihm dies auffiel, ob es wieder etwas mit dem Ende des deutschen Faschismus und derlei zu tun hatte, als hätte es sozusagen um der Vollständigkeit des Szenarios willen Stacheldraht geben müssen. Hier oben war er allerdings nicht nötig. Wer konnte hier schon weglaufen? Wer würde auf eine so wahnsinnige Idee kommen, einen Monat lang in der polaren Dunkelheit von hier einen Schlitten wegzuschleppen?
    In diesem Augenblick traf er seine Entscheidung. Sich selbst erklärte er es damit, daß er ein praktischer Mann war, der schon immer den Grundsatz vertreten hatte, daß unangenehme Dinge am besten sofort erledigt werden.
    Er ging wieder hinein, machte die Tür hinter sich zu und begab sich in die dritte Sektion, zu der nur wenige Angehörige des Personals Zutritt hatten.
    Es gab einen Aufbewahrungsraum für allgemeine Problemfälle, in dem Ladungen gestapelt wurden, die nicht ohne weiteres einsortiert werden konnten, etwa unter die Geschwister , die Vettern oder die nahen Verwandten. Diese Bezeichnungen hatten sich mit der gewohnten Leichtigkeit des militärischen Slangs herausgebildet. Geschwister waren Sprengköpfe vom gleichen Waffentyp, die beispielsweise darauf »trainiert« waren, im selben Gefechtskopf »zusammen zu schlafen«. Vettern waren vergleichbare Sprengköpfe verschiedener Generationen, »Jahrgänge«, wie sie jemand genannt hatte. Und nahe Verwandte waren verschiedene ältere Sprengkopftypen, die sich in Interkontinental oder Mittelstreckenraketen befunden hatten.
    Es hatte seine besondere Bedeutung, wer mit wem schlief. In den Plutonium-Teilen herrschte immer eine bestimmte Strahlung, und es wurde auch Hitze abgestrahlt. Diese Teile konnten aufeinander einwirken, wenn sie zu nahe nebeneinander schliefen. Sie reizten sich dann gegenseitig zu schlechtem Schlaf und brüteten schlimmstenfalls den Alptraum einer Kettenreaktion aus. Etwa so lautete die Erklärung zu ihrem internen beschönigenden Jargon, der sich schnell herausgebildet hatte.
    Bestimmte Sprengkopftypen konnten daher recht schnell verpackt und in abgehende Eisenbahnwaggons für den Weitertransport verladen werden. Für die Endlösung, wie irgendein Witzbold gesagt hatte.
    Es gab jedoch auch Vorräte mehr oder weniger aparter Sprengköpfe. Dort landeten beispielsweise die mit Kernwaffen bestückten Artilleriegranaten; dort lagen auch elf Flugbomben, die gut drei Meter lang waren und einen Durchmesser von vierzig Zentimetern hatten. Die Bezeichnung mit der Jahreszahl 1979 deutete darauf hin, daß sie ohne einen neuen Zusatz aktivierten Tritiums gar nicht einsatzfähig waren.
    Es ließ sich gut mit ihnen umgehen. Sie wogen nicht mehr als knapp vierhundert Kilo und hatten eine Sprengkraft von mindestens zweihundertfünfzig Kilotonnen, zehnmal, nein zwölfmal Hiroshima.
    Zwölf war eine bemerkenswerte Zahl. Warum gerade zwölf? Er nahm ein Stück Kreide aus der Brusttasche, trat vor die Reihe der Flugbomben und wählte eine Zeitlang, bevor er die dritte von links mit einem großen, deutlich sichtbaren Kreuz markierte.
    Dann begab er sich in die Demontagehalle, in der die Männer sich mit den Mehrfachsprengköpfen beschäftigten. Er überlegte es sich anders, ging wieder in sein Büro, holte einige Papiere, die an einer Sperrholzplatte festgeklemmt waren, und wies auf drei herausgelöste Gefechtsköpfe, nachdem

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