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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Zahlenreihe nach Schweden und nach Hause wählte.
    Tessie nahm beim zweiten Läuten ab, und es hörte sich an, als würde er aus Stockholm anrufen. Er war so erstaunt, daß er kaum Worte fand, doch dann erzählte er davon, wie ihn das Wunder des funktionierenden Telefons überrascht habe.
    Sie hörte sich etwas zurückhaltend an, und er deutete das als Frustration, weil sie nicht die üblichen Fragen einer Ehefrau an ihren Mann stellen konnte, der sich auf Dienstreise befindet. Wie geht’s, was sagen die Kollegen, und wann kommst du nach Hause?
    Sie wußte ja nur, daß es um etwas ganz verdammt Geheimes ging und daß es wichtiger war, als das Versprechen einer Reise nach San Diego zu erfüllen.
    Und er wiederum setzte voraus, daß es fast eine Amtspflichtverletzung wäre, sein Gespräch nicht abzuhören. Er dachte daran, wie vage das schwedische Außenministerium seine Reise begründet hatte, und daran, wen er sprechen wollte.
    Es waren keine guten Voraussetzungen für ein privates Gespräch. Die Unterhaltung schleppte sich zäh dahin, bis ihm einfiel, von Weihnachten zu sprechen. Er fragte sie, ob sie zu Hause bleiben und ein richtiges Weihnachtsmann-Weihnachten unter verschneiten Tannen feiern sollten, ober ob sie statt dessen lieber zu »Santa Claus« in Kalifornien fliegen sollten, um Kunststoffbäume und Enchiladas zu genießen.
    Da taute sie ein wenig auf. Vielleicht war es Erleichterung darüber, daß ein so harmloses Thema erlaubt war. Sie schlug vor, sie sollten abwarten, ob es weiße Weihnachten gäbe oder nicht. Sie hatte den Eindruck gewonnen, daß schwedische Weihnachten nicht nur Hering und Branntwein erforderten, Schweinefüße und andere widerwärtige Dinge, sondern auch Schnee. Nach und nach wurde es jedoch schwieriger, die einfachen Fragen zu variieren, und Carl hatte das Gefühl, daß das Gespräch unecht wurde.
    Als er auflegte, fühlte er sich unglücklich. Er sah sie deutlich vor sich, wie sie in der Stadtwohnung am Telefon sitzen blieb, gleichsam zögernd, bevor sie sacht aufstand, wieder ins Bett ging und sich ihrem Buch zuwandte. Er nahm an, daß sie abends im Bett lag und las, wenn sie allein war.
    Plötzlich wollte er sie noch einmal anrufen, um ihr zu sagen, daß er die nächste Maschine nach Stockholm nehme, auf seinen diffusen Auftrag pfeife, für den er kaum Interesse aufbringe, denn dagegen stehe das allgemeine Menschenrecht von Jungverheirateten, zusammen zu sein, ob nun in Kalifornien oder wo immer sie wollten.
    Er schüttelte den Kopf über sich, stand auf und schaltete den Fernseher ein. Er schaltete ihn sofort wieder aus, als er einen Werbespot von General Motors sah.
    Er legte sich auf den orangefarbenen Überwurf des Betts, faltete die Hände unterm Nacken und versuchte, sich alles durch den Kopf gehen zu lassen. Es gab keine vernünftige Proportion zwischen den Größen, die er zu vergleichen versuchte. Er stellte sich Samuel Ulfsson vor, was nicht schwierig war, und dann den Alten, was ihm sehr leicht fiel, und beide schüttelten fein lächelnd und fast mitleidig den Kopf über ihn. Es ging immerhin um die Frage, ob sowjetische Kernwaffen auf Abwege geraten konnten. Darum ging es und um nichts sonst. Welchen vermeintlichen Gesetzen der Logik zufolge auch immer: Tessie hatte in dieser Gleichung keinen Platz.
    Das Telefon läutete. Er starrte es mißtrauisch an, als glaubte er es nicht. Es war immerhin ein russisches Telefon, wenn auch ein deutsches Fabrikat. Es läutete erneut. Er ließ sich widerwillig überzeugen, stand auf und nahm ab. Die kurze Mitteilung war so komisch wie unmißverständlich.
    »Mr. Gamilton, guten Abend. Wir haben einen Wagen, der unten in der Halle auf Sie wartet.«
    Carl lachte kurz und legte auf, ging ins Badezimmer und rasierte sich schnell. Dann zog er sich eine Jacke und den Mantel über und ging. Ihm schoß der Gedanke durch den Kopf, ob er sich vielleicht Sorgen machen sollte, aber gar nichts wäre noch schlimmer als dies hier gewesen.
    Unten in der weißen, mit Kunststoff ausstaffierten Halle sah er unter allen Japanern und Deutschen den einzigen unverkennbaren Russen, der ihm die Hand gab und ihn aufforderte, durch die Drehtüren mitzukommen.
    Der Wagen war rund hundert Meter vom Hoteleingang entfernt geparkt. Es war ein Tschajka mit Gardinen vor dem Heckfenster; die russische Variante des amerikanischen Hurentransportmittels, der verlängerten Limousine mit geschwärzten Scheiben.
    Er nahm auf dem geräumigen Rücksitz Platz und begrüßte

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