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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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dahintersteckte.
    »Ja, genau«, sagte Samuel Ulfsson fast im Flüsterton, »stimmt genau. Die Sache ist aber die, daß es keine Überlebenden geben darf, keine Zeugen. Es darf keinen Menschen mehr geben, der auch nur von seinem eigenen Tod Zeugnis ablegen kann. In diesem Punkt scheinen sich alle diese Teufel über unseren Köpfen absolut einig zu sein, Russen, Amerikaner und unsere eigene Regierung. Es darf keine menschliche Spur zurückbleiben.«
    Samuel Ulfsson verstummte. Åke Stålhandske ließ die Worte seines Chefs ins Bewußtsein einsickern, bevor er den Inhalt dessen zu analysieren begann, was er soeben gehört hatte.
    »Alle menschlichen Gewebereste müssen zerstört werden«, verdeutlichte Samuel Ulfsson. »Das ist der exakte Wortlaut unseres Befehls.«
    »Bei dreißig oder vierzig Grad Kälte?« fragte Åke Stålhandske erstaunt, als wäre ihm dieser rein praktische Aspekt zum ersten Mal eingefallen.
    »Ja, bei jeder Temperatur, die gerade herrscht«, erwiderte Samuel Ulfsson peinlich berührt.
    Sie schwiegen eine Weile und ließen sich die Bedeutung des Befehls durch den Kopf gehen. Åke Stålhandske fand keine Worte. Jedenfalls keine klare Verbindung zwischen den Plänen, Anna zu heiraten, und menschliche Gewebereste zu zerstören.
    »Du wirst verstehen«, fuhr Samuel Ulfsson nach einiger Zeit fort, als ihm klar wurde, daß Åke Stålhandske nichts mehr zu sagen hatte, »daß ich es nicht auf meine Verantwortung nehmen kann, einen Trupp zu einem solchen Auftrag loszuschicken, ohne daß er unter dem Befehl eines Mannes wie dir oder Carl steht. Ich habe mir sogar die Frage gestellt, wie ich selbst einen solchen Auftrag bewältigt hätte, und ich glaube, es wäre mir schwergefallen. Das gleiche dürfte wohl für die meisten anständigen Schweden gelten, ob nun Fallschirmjäger oder nicht.«
    »Aha, Carl und ich und Luigi sind also keine anständigen Schweden«, sagte Åke Stålhandske mit dem Versuch eines Lächelns, das zu einer Grimasse wurde.
    »O doch«, sagte Samuel Ulfsson ruhig und zündete sich an seiner alten Zigarette eine neue an, »natürlich seid ihr anständig, immer. Der Witz liegt aber darin, daß ihr über eine Kampferfahrung verfügt, die in den letzten zweihundert Jahren sonst niemand in Schweden gehabt hat. Das ist der Unterschied, allein das.«
    »Jaja«, seufzte Åke Stålhandske, »dann werde ich wohl zu meiner Verlobten nach Hause gehen und sagen, daß wir noch etwas warten müssen, da ich unbedingt im Interesse des Weltfriedens aus Russen Leim kochen soll.«
    »Ich finde, du solltest dich etwas passender und zurückhaltender ausdrücken«, sagte Samuel Ulfsson erschrocken.
    Die Stille wurde durch das Piepsen des Faxgeräts unterbrochen, und ein Text begann zu tickern. Samuel Ulfsson stand auf, trat an das Gerät und stellte fest, daß es die Angaben über einen gewissen Matti Heiskanen waren. Er begann mit einem billigenden Kopfnicken vorzulesen.
    »Der Bursche ist 1962 in Jyväskylä geboren und 1975 nach Schweden gekommen. Was bedeutet das?« fragte er.
    »Er ist kein Finnlandschwede wie ich, sondern hat zumindest in seinen ersten dreizehn Lebensjahren finnisch gesprochen. Ist dann irgendwann Berufssoldat geworden«, erwiderte Åke Stålhandske.
    »Dann wird er dein Jagdgefährte werden, den du da oben in deinem Häuschen einführst«, sagte Samuel Ulfsson mit einem vorsichtigen Lächeln. »Ich nehme an, es wird dann auch noch ein paar Schneemobil-Lektionen und derlei geben.«
    Åke Stålhandske antwortete nicht. Er war schon tief in Grübeleien versunken, wie er Anna die Sache erklären sollte.
    In Helsinki stürmte und regnete es. Die dichten, tiefhängenden Wolken bedrängten das Licht schon am frühen Nachmittag, wie um handgreiflich zu dokumentieren, daß dies der Anfang der großen skandinavischen Düsternis war. Schon bald würde es dunkel sein, wenn man zur Arbeit ging, und dunkel, wenn man nach Hause fuhr.
    Düsternis prägte auch die Begegnung im Amtszimmer des Präsidenten der Republik. Der Regen peitschte gegen die Fensterscheiben, und die elektrische Beleuchtung wirkte kalt. Ein großes, knisterndes Kaminfeuer wäre aufmunternd gewesen, dachte der schwedische Verteidigungsminister Anders Lönnh. Im Grunde war das Treffen gar nicht so notwendig. Der Diskussion, ob Finnland schwedische Jagdflugzeuge kaufen sollte oder nicht, war kaum etwas Neues hinzuzufügen, ebensowenig der Frage, ob oder wie man gegebenenfalls bestimmte Teile der Fertigung nach Finnland verlegen

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