Niemandsland
sein Glas mit einem Kopfnicken zu seinem Neffen geleert hatte. »Und dir scheint es gut zu gehen. Du arbeitest offenbar nicht mehr auf dem Trawler?«
»Nein, das ist schon lange her. Das war früher mal, in der alten und nicht so guten Zeit«, lachte Kolja und schüttelte den Kopf. »Himmel, für vierhundert Rubel im Monat wie ein Hund arbeiten, selbst mit See und Murmansk-Zulage und allem. So kann man nicht leben. Das ist kein Leben für einen jungen Menschen von heute.«
»Aha«, sagte Alexej Mordawin. Er fühlte sich ein wenig beleidigt, was Kolja offenbar beabsichtigt hatte. »Und was verdienst du neuerdings?«
»So vierzig-, fünfzigtausend. Im Monat, meine ich«, sagte Kolja lässig.
Alexej Mordawin glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Er konnte sich nicht vorstellen, daß es ein Monatsgehalt sein sollte. Und genau wie Kolja beabsichtigt hatte, sah er sich gezwungen nachzufragen, um bestätigt zu bekommen, daß es sich tatsächlich um soviel Geld handelte.
»Und Sie selbst? Jetzt, da Sie Kapitän zur See geworden sind, bekommen Sie doch sicher eine Gehaltserhöhung?« fragte Kolja freundlich, wie es schien, vielleicht etwas zu freundlich.
»Ja«, sagte Alexej Mordawin verletzt, »ich glaube, es gibt jetzt mehr als hundert Rubel zusätzlich im Monat. Das können wir sehr gut gebrauchen, da wir uns ein paar neue Möbel kaufen müssen.«
Kolja lachte fast herzlich auf, zog einen Dollarschein aus der Tasche und hielt ihn seinem Onkel unter die Nase.
»Sehen Sie den hier, mit George Washington drauf, das ist nur ein Dollar. Nein, machen Sie sich keine Sorgen, der ist absolut legal, ich habe ihn legal verdient. Ein Dollar – das sind Ihre hundert Rubel.«
»Das liegt an der ökonomischen Kriegführung, das hat nichts mit der Wirklichkeit oder wirklicher Arbeit zu tun«, wandte Alexej Mordawin zögernd ein. Ihm gefiel die Vorführung nicht.
»Doch, Onkel, bei allem Respekt, es hat doch etwas mit der Wirklichkeit zu tun. Nicht mit wirklicher Arbeit, damit haben Sie allerdings recht. Ich mache Geschäfte in Schiffsschrott, und zwar mit einem amerikanischen Unternehmen. Wir könnten jemanden wie Sie gebrauchen, Onkel Alexej, einen Mann von Ihrer Kompetenz. Lohnt es sich nicht, mal darüber nachzudenken, Onkel Alexej?«
Mordawin sah seinen Neffen an, als versuchte er einen üblen Scherz oder einen hinterhältigen Gedanken zu durchschauen, doch er sah nur den blauen, offenen Blick des jungen Mannes; im Grunde sah der junge Kolja sehr angenehm aus mit seiner Stupsnase und den Sommersprossen, die ihn jünger wirken ließen als er war.
»Ich habe, wie du vielleicht weißt, eine ungeheuer verantwortungsvolle Tätigkeit. Ich kann da nicht einfach wegen Geld aufhören«, sagte er.
»Und wie lange werden Sie diese Verantwortung noch haben, lieber Onkel Alexej? Was meinen Sie?« lachte der junge Kolja ohne jedes Anzeichen von Bosheit. »Das erste, was stillgelegt werden wird, dürfte die strategische Flotte sein. Warum sollen wir jetzt noch unter dem polaren Packeis patrouillieren, jetzt, da der Kalte Krieg beendet ist?«
»Man kann nie wissen«, brummte Alexej Mordawin mürrisch.
»Denken Sie doch nur an die beiden Kreuzer, die man jetzt stillgelegt hat, Onkel Alexej. Wenn Sie aber mal an der Reihe sind, sollen Sie wissen, daß wir in der neuen Firma jeden Mann brauchen, der etwas kann.«
»Du hast eine Firma?« fragte Alexej Mordawin verblüfft.
»Eine richtige eigene Firma wie ein richtiger Kapitalist?«
»Ach, Onkel Alexej, es heißt nicht mehr Kapitalist in unserer Zeit, seit der Perestroika heißt es unternehmungslustiger junger Mann. Aus diesem Grund ist der Dollarschein legal. Aber ja, ich habe eine Firma, die mir fast ganz allein gehört. Also, ich habe den russischen Teil, ein Tochterunternehmen, könnte man sagen. Denn das Kapital befindet sich nicht hier, sondern auf der anderen Seite.«
»Das Kapital?«
»Ja. Ohne Kapital kann man keine Firma gründen.«
Alexej Mordawin schüttelte angesichts dieser neumodischen Dinge den Kopf. Er war nicht sicher, ob er verstand, wovon der Junge Kolja sprach, oder ob es nur Prahlerei war.
»Ach, übrigens, ich werde dafür sorgen, daß man Ihnen und Jelena ein paar neue Möbel in die Wohnung schickt, außerdem einen Farbfernseher, einen Videorecorder und solche Dinge. Die können Sie bestimmt gebrauchen, und für Ihre hundert Rubel bekommen Sie die nicht.«
Der junge Lümmel sagte dies, als wäre es vollkommen selbstverständlich, fast nebenbei. Alexej
Weitere Kostenlose Bücher