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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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so viel Geld verdiente, sollte man es ihm wohl verzeihen und verstehen, daß er sich darüber freute und sogar stolz darauf war.
    Alexej Mordawin versuchte sich zu erkundigen, wie es vor den Sommerferien mit Pjotrs Studien gegangen war, doch das Gespräch erstarb bald angesichts der jetzt beginnenden Cabaretvorführungen. Acht junge Mädchen in freizügigen Kleidern westlichen Schnitts standen plötzlich auf dem Podium und zappelten im Takt der Orchestermusik mit den Beinen. Es sah verblüffend albern aus, wie Alexej Mordawin fand, und außerdem erkannte er eines der Mädchen. Sie arbeitete in der Konservenfabrik, in der sie Fische putzte, und war die Tochter eines der Nachbarn oben auf dem Skolnij. War dies jetzt ihr Beruf? Sie sah ja wie eine Prostituierte aus. Doch als er sah, wie sein junger Sohn Stielaugen bekam, lachte er laut und verzieh allen alles und drohte dem jungen Pjotr in gespielter Strenge mit dem Zeigefinger.
    Nachdem die Mädchen eine Zeitlang getanzt hatten, trat eine Sängerin auf, die Alla Pugatschowa imitierte, und auf sie folgte eine Akrobatin, eine Art Schlangenfrau. Die Stimmung im Lokal stieg immer mehr.
    Die Vorspeisen waren fürstlich, und sie langten kräftig zu. Es gab geräucherten Stör, Heilbutt, Kaviar, Salzgurken, Schmand, Radieschen und sogar gekochte Kalbszunge. Alexej Mordawin hatte schon längst aufgehört, sich über all das Geld aufzuregen, das dafür ausgegeben wurde, und die merkwürdigen Ansichten der jungen Leute über das Leben machten ihm jetzt auch nichts mehr aus.
    Dann wurden gegrillte Steaks mit einem merkwürdigen französischen Namen aufgetragen. Das Fleisch war recht zäh, dafür aber ohne Fett und Sehnen, und dazu gab es eine dicke weiße Sauce mit einem ebenfalls französischen Namen, den Alexej Mordawin nicht aussprechen konnte.
    Am Nebentisch saß eine Gruppe Frauen in seinem und Jelenas Alter. Er entnahm den Gesprächsfetzen, die er hörte, daß sie draußen in der Basis von Seweromorsk arbeiteten, vermutlich in einer Kommandozentrale, und daß sie heute abend ausgingen, um jemanden zu feiern. Die Höhe der zu erwartenden Rechnung schien ihnen nicht das geringste auszumachen.
    Als die Auftritte beendet waren, sollte der Tanz beginnen, und die Frauen vom Nebentisch sprangen sofort auf und begannen miteinander zu tanzen. Alexej Mordawin vermutete, daß es irgendein westlicher Tanz war. Die Frauen standen in einem Kreis und tanzten gleichsam jede für sich. Sie hüpften auf und nieder, schwankten und wirbelten um die eigene Achse herum. Es sah sehr merkwürdig aus, aber andererseits schienen die Frauen sehr fröhlich zu sein. Ihre Fröhlichkeit war ansteckend, denn kurz darauf war das halbe Lokal auf dem Tanzboden und drängte sich dort in dem gleichen, eigentümlichen Tanzstil. Jelena zerrte an ihm und wollte ihn auf die Beine bekommen. Er flüsterte, es gehöre sich nicht, in Uniform zu tanzen, jedenfalls nicht in einem solchen Lokal. Doch da zeigte sie ihm einen begeisterten Kollegen, einen Fregattenkapitän, der fröhlich und schwitzend wie alle anderen herumhüpfte. Alexej Mordawin kippte ein Glas Wodka und ließ sich dann zunächst etwas schüchtern und widerwillig auf die Tanzfläche schleifen. Er kam zu dem Schluß, daß es sinnlos war, Widerstand zu leisten. Kurz darauf hüpften er und Jelena wie alle anderen herum. Wegen der Kunstfasern in ihrer Kleidung begannen sie bald vor Schweiß zu dampfen, und die Düfte von Jelenas herrlich rundem Körper ließen ihn denken, daß seine Freude nicht ganz schicklich war. Jelena war eine sehr gutaussehende Frau. Sie tanzte trotz des einfältigen Tanzstils, der für alle galt, wie eine Königin.
    Als es schließlich immer enger auf die Tanzfläche wurde und ihr Körper immer näher kam, erkannte er, daß sie sich setzen mußten. Nicht nur weil sie beide allmählich zu sehr schwitzten, um es noch als angenehm zu empfinden, sondern auch weil er sich schämte, daß man ihm nur zu gut ansehen konnte, was ihm am meisten im Kopf herumging.
    Als sie wieder an den Tisch kamen, hängte er die Uniformjacke auf die Stuhllehne und kippte zwei große Wodkagläser mit Mineralwasser, um sich abzukühlen. Jelena verschwand auf der Toilette, um sich auf andere Weise zu kühlen.
    »Sie spüren hoffentlich, Onkel Alexej, daß dies ein richtiges Willkommensfest sein soll«, sagte der junge Kolja, als er sich setzte, ihre Gläser mit Wodka füllte und prostete.
    »Natürlich, selbstverständlich!« erwiderte Alexej Mordawin, nachdem er

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