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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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fertig war. Es war leichter, die endlosen Treppen hinaufzugehen, zumindest solange kein Glatteis drohte und er noch kein Pensionär war.
    Er war strahlender Laune, als er die mehrere hundert Meter langen Treppen zu dem erst vor kurzem fertiggestellten Neubauviertel hinauflief. Manche Leute sagten, Hochhäuser seien häßlich und nur eine schlechte Nachahmung westlichen Stils. Doch die Aussicht vom Balkon da oben war wundervoll, besonders während des langen Sommerhalbjahrs mit den weißen Nächten. Es war neun Uhr abends und immer noch recht hell draußen. Mordawin versuchte, sich eine Art Plan für all die kommenden Freuden zurechtzulegen, ob es nun um die Liebe ging oder eine Festmahlzeit; Jelena hatte ja nicht viel Zeit gehabt, sich um irgend etwas zu kümmern, nachdem sie im Krankenhaus die Mitteilung erhalten hatte, daß er endlich wieder zu Hause war. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte er freilich schon vor einem Monat oder vor zwei Wochen kommen können. Viel hing natürlich davon ab, ob der jüngste Sohn zu Hause war oder nicht; Alexej Mordawin bereiteten die Freuden der körperlichen Liebe noch immer etwas Unbehagen, wenn er und seine Frau nicht allein in der Wohnung waren. Sie hatten zwar zwei Zimmer und Küche, aber trotzdem.
    Der Fahrstuhl war außer Betrieb, und so war er gezwungen, sieben Treppen hinaufzugehen. Schon nach zwei Stockwerken spürte er, was zwei Monate ohne Bewegung an Bord bewirkt hatten; er beschloß, während des kommenden Kurzurlaubs möglichst viel zu schwimmen und zu laufen.
    Als er an der Tür läutete, dauerte es erstaunlich lange, bis geöffnet wurde. Schließlich machte eine wildfremde Frau in Lockenwicklern und Morgenmantel auf, die ihm mürrisch mitteilte, er sei umgezogen. Sie erinnere sich zwar nicht an die Adresse, aber die Nachbarin könne sie ihm wohl sagen.
    Verdutzt und enttäuscht klingelte er bei der Nachbarin und erhielt seine neue Adresse. Er wohne jetzt in der Innenstadt, in der Rybnij Prajeschd, ob er die kleine Gasse kenne? Es sei eine Querstraße der Karl-Marx-Straße, und dann wisse er sicher Bescheid, fast bei der Schwimmhalle.
    Doch, er wußte Bescheid. Er begriff nicht, warum der Umzug erfolgt war, aber eine Tatsache blieb es. Es würde zwanzig Minuten dauernd, zu Fuß wieder in die Stadt zu kommen, und er hatte kein Geld bei sich.
    Brummend ging er die Treppen hinunter. Doch nach einiger Zeit kehrte die gute Laune zurück. Die Familie konnte kaum in eine schlechtere Wohnung umgezogen sein, und selbst wenn die Aussicht dort unten in der Stadt dahin war, hatten sie es dort beispielsweise näher zum Kino Rodina. Jeder in der Familie ging gern ins Kino. Überdies hatten sie vielleicht mit etwas Glück Aussicht auf das Zentralstadion, und wenn die neue Wohnung nur ein paar Stockwerke hoch lag, hatten sie kostenlose Tribünenplätze bei Sportereignissen.
    Das Zentralstadion, so zeigte sich jedoch, wurde gerade von Grund auf umgebaut. Alles wirkte wie eine einzige Baustelle.
    Er fand die Rybnij Prajeschd, die »Fischgasse«, ohne Mühe. Für eine Stadt wie Murmansk war das ein außerordentlich passender Name, außerdem unpolitisch, so daß es keine peinlichen Namenswechsel geben würde, die offenbar überall sonst vorgenommen wurden. An einigen Ecken der Hauptstraße unten in der Stadt hatten Unbekannte die Straßenschilder des Leninskij Prospekts übermalt und versucht, darauf Seweromortsi Prospekt zu schreiben.
    Im Keller neben der Tür, die offenbar zu seinem neuen Haus gehörte, lag ein merkwürdiger Laden, in dem Kleider und Fernsehgeräte, Videokassetten und allerlei Krimskrams aus dem Westen verkauft wurde. Ein kleines Schild an der Hauswand erklärte, es sei ein privates Geschäft. Alexej Mordawin wunderte sich, wie ein Privatmann es sich leisten konnte, solche Waren zum Verkauf zu beschaffen.
    Im Hauseingang hing ein weißer, verstaubter und leicht verschmutzter Zettel mit handgeschriebenen Erklärungen, wer oder welche Familie in welcher Wohnung wohnte. Er bemerkte, daß bei einer der hochgelegenen Wohnungen nur sein Familienname stand. Schön, dann brauchten sie die Wohnung wenigstens nicht mit anderen zu teilen. Einen Fahrstuhl gab es nicht, und so ging er die vier Treppen hinauf, langsam und vorsichtig, um nicht allzusehr in unmännliche Atemnot zu geraten. Er sammelte sich kurz, bevor er an der Tür zu läuten versuchte, auf der er einen Zettel mit dem Namen Mordawin in der Handschrift seiner Frau entdeckte. Die Klingel funktionierte nicht,

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