Niemandsland
das Gefühl, daß die Gefahr bald vorbei sein würde.
»Hören Sie mal, Frau Anwältin, wir wollen jetzt keine juristischen Haarspaltereien betreiben«, sagte er lachend, »aber ich wollte auf folgendes hinaus. Möchtest du es Punkt für Punkt in guter militärischer Reihenfolge?«
»Ja.«
»Okay, dann gehen wir so vor. Ich habe, wie ich vorhin schon sagte, die Lage mit meinem Chef durchdiskutiert. Also Punkt eins. Wir sind uns darin einig, daß ich künftig am Boden bleibe. Ich bin praktisch eine Art Chefsekretär, wenn ich mich als Zivilist äußern soll. Punkt zwei. Ich bin draußen auf dem Feld ganz einfach kaum noch zu gebrauchen, da man mich überall erkennt. Was für uns Spione eine schlechte Voraussetzung ist. Punkt drei. Wenn ich mich trotzdem aufs Feld begebe, steigt das Risiko weiterer Verluste in unserer Abteilung. Dann bin ich nämlich in Gefahr. Und das halten wir für ein schlechtes Wirtschaften mit knappen Ressourcen. Da ist es schon besser, daß ich mit anderen Worten Stabsfunktionen übernehme. Punkt vier. Ich habe ein eigenes Leben zu leben. Niemand kann sagen, ich hätte den Hintern nicht schon weit genug aus dem Fenster gereckt, aber jetzt habe ich wie jeder Mensch das Recht, ihn wieder einzuziehen. Zufrieden mit dieser Antwort?«
»Sehr, besonders mit Punkt vier, denn für mich geht es vorwiegend darum.«
»Um unser Privatleben, um dich und mich?«
»Ja. Ich fühle mich als Frau eines Fliegers nicht wohl. Du weißt, wie in diesem Buch von Tom Wolfe.«
»Männer von echtem Schrot und Korn? Kühne Männer in feschen blauen Uniformen, von denen einer pro Woche abstürzt, während die Frauen vor Sorge fast verrückt werden?«
»Ungefähr so.«
»Aber wenn es nur das wäre«, sagte er verwirrt, »wenn es nur das wäre… Nein, ich meine natürlich nicht nur, denn für mich ist dies genauso wichtig wie für dich. Aber trotzdem. Warum dann all diese inquisitorischen Fragen nach operativen Details, was Sizilien betrifft?«
»Operativen Details?«
»Ja. Ich habe mich absichtlich so euphemistisch ausgedrückt.«
»Weil ich wissen wollte, ob du mich anlügen kannst, und vielleicht, weil ich mich ganz einfach gefragt habe, was da in dir steckt, was wir anderen nicht sehen, vielleicht nicht einmal ich. Ist es etwas, wovor ich Angst haben muß?«
»Ich bin Offizier.«
»Mit dem Recht zu… ja, ich weiß, ich weiß. Eine letzte Frage wegen Sizilien, eine persönliche Frage. Okay?«
»Ja, vor allem, wenn du sagst, daß es deine letzte Frage dazu ist.«
»Was war für dich am schwierigsten? Dir ist doch hoffentlich klar, daß ich das nicht technisch meine.«
Er zögerte mit der Antwort. Aber nicht, weil es irgendwie zweifelhaft sein konnte, was am unerträglichsten gewesen war, sondern weil es ihm unmöglich erschien, eine Antwort zu formulieren. Zumindest in der geschäftsmäßig kühlen oder fast juristischen Sprache, in der sie sich bisher unterhalten hatten.
Sie sah sein Zögern, sah, daß sein Gesicht gleichsam zu zerspringen begann, als gäbe es da einen Schmerz, den er jetzt, da er daran erinnert wurde, nicht mehr zurückhalten konnte.
»Nein!« rief sie plötzlich aus. »Ich nehme das zurück. Es war dumm von mir. Ich will es nicht mehr wissen.«
»Das… es geht nicht«, sagte er angestrengt und hätte um ein Haar gestottert. Dann konzentrierte er sich und antwortete mit zusammengebissenen Zähnen. »Einer meiner engsten Freunde ist buchstäblich in meinen Armen gestorben. Wir wurden aus nächster Nähe beschossen. Aber die wollten nur ihn töten. Wir waren bei der Gelegenheit unbewaffnet. Das war meine Schuld. Ich war dumm und nachlässig, und deswegen mußte er sterben. Ich versuchte es mit Herzmassage und Mund-zu-Mund-Beatmung, aber er hatte rund zehn Durchschüsse bekommen, auch mehrere durch die Lungen. Als ich Luft in ihn hineinblies, sprudelte es an mehreren Stellen. Er war schon tot.«
Er brachte es nicht über sich fortzufahren, da er die Szene zu deutlich vor sich sah. Es kam ihm vor wie eine dieser modernen Videoaufzeichnungen, bei denen man ein Bild nach dem anderen abspulen oder sogar Teilvergrößerungen machen kann.
Er wurde von seinen Gefühlen überwältigt, einer Mischung aus nachtschwarzer Verzweiflung, wütender Trauer und etwas wie Scham. Es war unmöglich, die Tränen zurückzuhalten, und dessen schämte er sich auch. Er wischte sich erst mit der rechten und dann mit der linken Hand energisch die Tränen aus dem Gesicht.
»Ich glaube, ich muß eine Weile
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