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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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nicht.
    »Wer bist du denn?« fragte die Kleinste, ein Mädchen mit einer Zahnlücke. Sie zeigte auf Tessie.
    »Sie kann leider kein Schwedisch«, erklärte Carl.
    »Oh, dann ist sie eine Spionin!« stellte das Mädchen fest.
    »Nein«, entgegnete Carl, »ganz und gar nicht. Das da ist Frau Hamilton.«
    »Was habt ihr gesagt?« fragte Tessie amüsiert und verwirrt zugleich.
    »Sie haben gefragt, ob du eine Spionin bist«, erklärte Carl und öffnete die Autotür, damit Tessie einsteigen konnte. Dann ging er um den Wagen herum, winkte den Kindern zu, setzte sich ans Steuer und fuhr los.
    »Und was hast du geantwortet?« fragte sie, als der Wagen auf die E 4 rollte und in der Anonymität des Verkehrsgewimmels untertauchte.
    »Ich habe gesagt, wie es ist«, stellte Carl sachlich fest.
    »Selbstverständlich seist du eine Spionin, sogar eine der gefährlichsten.«
    Es war keineswegs sonderbar, daß Eero Grönroos einen Hausrussen hatte. Erstens war er Ministerialrat in der Osteuropa-Abteilung des finnischen Außenministeriums, so daß Umgang mit Leuten aus dem Osten schon aus diesem Grund natürlich war. Zweitens hielten sich alle Angehörigen der Oberschicht Helsinkis in Verwaltung und Wirtschaft einen Hausrussen.
    Der Begriff ist sehr finnisch und läßt sich kaum in eine andere Sprache übersetzen. Ein Hausrusse bedeutet etwa einen russischen Kontaktmann, um den man sich bemüht und den man kultiviert oder von dem man sich schlimmstenfalls selbst kultivieren läßt, weil man damit seine vorurteilslose Einstellung gegenüber dem mächtigen Nachbarn im Osten zeigen kann, wie man die Sowjetunion in Finnland oft nennt.
    Eero Grönroos war sich sehr wohl bewußt, daß sein Hausrusse, Kirill Jewgeniwitsch Tschernenko, sich normalerweise sowohl dümmer als auch unwissender stellte, als er sein konnte, und daß seine offizielle Position als Zweiter Sekretär an der Botschaft der Sowjetunion nur die Fassade einer bedeutend qualifizierteren Funktion war. Doch es hatte nie auch den mindesten Anlaß gegeben, sich zu beunruhigen. Kirill Jewgeniwitsch war bei allen seinen Verbindungen immer außerordentlich korrekt gewesen. Er war nie mit Plastiktüten voll klirrender Wodkaflaschen oder derlei aufgekreuzt und hatte somit nicht einmal andeutungsweise zu erkennen gegeben, daß er Kontakte oder Erkenntnisse außerhalb der gesetzlich akzeptierten Sphäre zu gewinnen wünschte. Er war nicht einmal unnötig persönlich geworden, hatte zum Beispiel nie Geschenke für Frau und Kinder und derlei überreicht.
    Jetzt saßen sie auf der Dachterrasse des Hotels Vaakuna und aßen Krebse. Das hatte sich zu einer alljährlichen Tradition entwickelt. Es war ein milder Augustabend und immer noch hell draußen. Es befanden sich nur wenige Gäste auf der Terrasse, und noch war es nicht zu kühl, um draußen zu sitzen, zumindest in der nächsten Stunde noch nicht.
    Eero Grönroos hatte den gewohnten Gesprächsverlauf erwartet, eine Besprechung der wirtschaftlichen Lage, verschiedener europäischer Verhandlungsrunden, Bemerkungen über Estland und all das andere, doch sein Hausrusse schien stärker unter Druck zu stehen als seit langer Zeit. Er schwitzte sichtlich und bearbeitete seine Krebse mit einer gewissen Aggressivität. Das Gespräch schleppte sich zähflüssig dahin.
    Das war jedoch kein Grund zur Verwunderung. Die meisten Russen, denen man neuerdings begegnete, schienen nervös zu sein und unter Druck zu stehen. Sie litten zudem sichtlich unter Geldmangel, was den Umgang im Westen nicht gerade erleichterte. Eigentlich war der Hausrusse heute an der Reihe, die Rechnung zu bezahlen, doch Eero Grönroos hatte sich schon entschlossen, dieses Detail zu übernehmen.
    Sie aßen ihre zwanzig Krebse schnell und unter fast vollständigem Schweigen. Eero Grönroos bemühte sich, das Thema Estland und die künftigen Wirtschaftsverbindungen im Dreieck Sowjetunion-Estland-Finnland zur Sprache zu bringen. Das hätte seinem Hausrussen normalerweise Dampf machen müssen, tat es aber nicht.
    Als der letzte Krebs aufgegessen war, fragte er auf eine Weise, die deutlich erkennen ließ, daß er und nicht der Russe die Rechnung begleichen sollte, ob sie nicht noch einen Schwung bestellen sollten.
    »Nein danke, denn ich habe eine sehr ernste Sache mit dir zu besprechen, lieber Freund«, entgegnete Kirill Tschernenko, drückte die Zitronenspalte energisch über der kleinen Fingerschüssel aus und trocknete sich sorgfältig mit der Serviette ab.
    Eero Grönroos sagte

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