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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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es nicht einfach nur um Technologie, nicht um die Frage, daß er eine Art Unterwasser-Garage voller hoher Silos hatte, in die er von Zeit zu Zeit hineinklettern sollte wie ein kleiner Affe auf den Masttopp der Ewigkeit, um etwas zu kontrollieren oder zu justieren.
    Was jetzt zu seinem Job geworden war, vermittelte ihm ein Gefühl von Untergang und Hölle, wie er es an Bord seines U- Boots nicht einmal andeutungsweise kennengelernt hatte.
    Sie gingen langsam über den Leninskij Prospekt heimwärts. Für ihre Umgebung mochten sie wie ein normales Offizierspaar aussehen, das ausgegangen war und ein paar Getränke zuviel genossen hatte, das sich aber nur über alltägliche Dinge unterhielt.
    Seine erste Zehn-Tage-Schicht draußen bei den Hallen, die den Eindruck einer provisorischen Bahnstation machten, hatte er inzwischen schon hinter sich. Angesichts dessen, womit sie dort hantierten, waren die Zustände dort schauerlich primitiv und improvisiert. Bei seinem ersten Besuch hatte er seinen Augen nicht getraut. Der große Mittelbau, in dem die Eisenbahnwaggons unter Dach entladen werden sollten – schon bald würde alle Arbeit im Freien auf Grund von Kälte und Schnee unmöglich werden –, hatte ihn an etwas wie einen Friedhof erinnert, einen Elefantenfriedhof. Dort lagen schätzungsweise zweihundert Tonnen Kernwaffen kunterbunt durcheinander. Man hatte sie einfach nur abgeladen, um die Waggons wieder wegschaffen zu können. Die Fachleute, die sich um alles weitere kümmern sollten, waren noch nicht eingetroffen. Die meisten Gefechtsköpfe schienen aus der Ukraine zu kommen und stammten von Mittelstreckenraketen, was unter anderem aus den unangemessenen Schmierereien hervorging, mit denen die äußeren Metallhüllen vollgekritzelt waren. Dort standen Dinge wie Jetzt vögelt doch in Paris, wenn ihr könnt oder Jetzt lutsch mal an dem hier, Viertes Reich oder Ist das nicht das Richtige zum Five-o’clock tea?
    Menschen, die so etwas kritzelten, mußten vollkommen pervers sein; bei der Marine hatte er so etwas nie gesehen.
    Die Personen, welche die Raketen vor Ort demontierten, hatten manchmal gewußt, was sie taten, manchmal auch nicht. Einige Waffenkerne waren vollkommen entblößt. Das bedeutete unter anderem, daß das Lager nicht betreten werden konnte, bevor Personal mit entsprechender Ausrüstung alles saniert hatte. Das alles überschattende Problem, zumindest jetzt zu Beginn der Operation, war die Tatsache, daß zuwenig Verpackungsmaterial zur Verfügung stand. Irgendwo in der Sowjetunion, nur Gott wußte wo, wurden Stahlkisten produziert, in denen die Sprengköpfe verstaut und für den Transport verschlossen wurden, bis sie in dem Bergmassiv, das Alexej Mordawin für einen U-Boot-Hangar gehalten hatte, ihre letzte Ruhe fanden. Vielleicht war es übrigens die Absicht, daß die Außenwelt genauso denken sollte. Wenn ja, war es ein guter Gedanke.
    Wie auch immer: Es war eine gute und wichtige Sache, für die er arbeitete. Wenn man auch nur die Hälfte von dem glaubte, was in der Polarnaja Prawda zu lesen stand, waren die Leute völlig durchgedreht, die unten in der Ukraine und in Weißrußland die Macht an sich gerissen hatten.
    Seine Frau merkte süßsauer an, es gebe kaum einen Grund, ausgerechnet der Polarnaja Prawda zu trauen, um so weniger, als es jetzt Konkurrenz durch die neue Zeitung Sowjetskij Murman gebe, und dort stehe nichts über politische Taugenichtse mit Selbständigkeitsgelüsten.
    Er wandte ein, das liege natürlich daran, daß die Sowjetskij Murman eine typische Jelzin-Zeitung sei, und da könne man keinerlei Kritik an Selbständigkeitsbestrebungen erwarten. Dieser Verrückte wolle ja Rußland aus der Union herausbrechen und sich selbst zu einem neuen Zaren machen.
    Ihr politischer Streit war nur von kurzer Dauer. So war es immer, wenn sie sich stritten. Und Jelena machte der Diskussion auf eine Weise ein Ende, gegen die mit Argumenten nichts auszurichten war. Sie hielt plötzlich inne, schlang ihm die Arme um die Taille, schob seine Uniformmütze noch mehr in den Nacken und sagte, sie liebe ihn, obwohl er ein Seemann sei. Jetzt müsse Schluß sein mit Kernwaffen und solchen Dingen, denn jetzt seien sie allein zu Haus, und es sei ein Fest im Gang.
    Er gab mit einem verlegenen Lachen nach, und auf dem letzten Stück des Heimwegs sprach sie von einer neuen Methode in der Thorax-Chirurgie, die sie seit einiger Zeit anwende.
    Als sie die Wohnungstür aufmachten, fiel ihm als erstes der Geruch auf. Es

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