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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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der Präsident sich genötigt sah, das Tempo wegen des Protokolls zu bremsen. Es kristallisierte sich bald eine Hauptfrage heraus: Warum wollte Gorbatschow die Schmuggelexpedition schon auf sowjetischem Territorium stoppen? Wenn Zeit und Ort bekannt waren, warum dann nicht einfach auf die Schmuggler warten und sie schnappen, wenn sie sich zehn Meter auf finnisches Territorium begeben hatten? Und warum konnten die Russen das Problem nicht intern lösen?
    Michail Gorbatschow hatte im Klartext zugegeben, daß er den zuständigen sowjetischen Organen nicht traute, was in erster Linie wohl für das KGB galt. Eine derart wichtige Angelegenheit wie das Zuschlagen gegen eine Schmugglerbande, die Kernwaffen durchs Land schleifte, würde irgendwann unweigerlich den bürokratischen Apparat des KGB durchlaufen und den eventuellen Feind alarmieren.
    Finnische Polizei oder finnisches Militär mußte dem sowjetischen Präsidenten als bedeutend sicherere und zuverlässigere Alternative erscheinen.
    Die Frage des Territoriums hatte überdies einen höchst empfindlichen politischen Aspekt. Natürlich war es von einiger Brisanz, Polizei oder Militär einer fremden Macht dazu aufzufordern, auf dem eigenen Territorium zu operieren. Doch war dies in politischer Hinsicht eine Kleinigkeit gegen das, was geschehen würde, wenn sowjetische Kernwaffen bei irgendeiner Gelegenheit, und sei es auch nur kurzzeitig, sowjetisches Territorium verließen.
    Und so wie der Westen funktionierte, war wohl zu erwarten, daß eine Polizeistreitmacht, die auf der Lauer lag, um ein paar hochinteressante Schmuggler zu fassen, Pressefotografen und schlimmstenfalls sogar Fernsehkameras im Troß hatte.
    Publizität wäre katastrophal. Es ging schließlich nicht nur um eine Art Prestigeverlust für die sowjetische Staatsführung – der es offenbar nicht einmal gelang, die eigenen Kernwaffen unter Kontrolle zu halten –, sondern auch für finnische Behörden würden sich, gelinde gesagt, Probleme ergeben.
    Was fängt man mit einer beschlagnahmten Wasserstoffbombe an? Versieht man sie mit einem Aufkleber und schickt sie ans Fundbüro des Polizeipräsidiums von Helsinki? Oder befördert man sie mit ein paar Fußtritten fünfzehn Meter zurück über die sowjetische Grenze?
    Sollte man sie von Militär bewachen lassen, allen Beteiligten Schweigepflicht auferlegen und warten, bis Gorbatschow sie persönlich abholte?
    Nein, es war klar, daß der sowjetische Präsident das Problem gründlich durchdacht hatte. Jede Form von Öffentlichkeit, das heißt Publizität, würde katastrophale Probleme mit sich bringen. Einmal alle politischen Verwicklungen (»Seien Sie doch so nett, Ihre Wasserstoffbombe abzuholen«), zum andern die Tatsache, daß die Publizität auch die chaotisch zerfallende Sowjetunion erreichen und dort als riesenhafte Werbung dafür dienen würde, wie man selbst die schwierigsten Geldprobleme löst. Eine halbe Million Kernwaffendiebe würden sich auf der Stelle zu einem professionelleren Versuch aufgerufen fühlen.
    Die Anwesenden waren sämtlich Berufspolitiker und seit vielen Jahren gewohnt, sich bei schwierigen Fragen zusammenzuraufen, und nachdem die psychologisch kniffligste Frage, nämlich die der Verteidigungsministerin, abgehakt worden war, konnte es schnell weitergehen. Die Konferenz dauerte weniger als eine Stunde.
    Die Entscheidungen, die jetzt getroffen wurden, oder vielmehr die Beschlüsse, die der Präsident jetzt mit verfassungsmäßiger Unterstützung durch die Regierung des Landes in die Tat umsetzen konnte, waren einfach und konkret.
    Der Präsident sollte durch persönliche Kontaktaufnahme mit dem Chef des Sicherheitsdienstes dafür sorgen, daß die praktischen Vorbereitungen weitergingen.
    Ferner sollte der Präsident mit seinem Partner in Moskau fortlaufend Kontakt halten, und zwar durch den dafür eigens ernannten Sendboten Eero Grönroos, für den sich sein Außenminister so vorbehaltlos einsetzte.
    Åke Stålhandske war strahlender Laune, als er in Rom die SAS-Maschine bestieg, und dieser Umstand hatte vermutlich eine ganz entscheidende Wirkung für das, was später geschah.
    Er hatte wohlweislich ein Ticket für die Affenklasse hinter dem Vorhang gekauft, aber nicht, weil er auch nur einen Augenblick annahm, daß die Streitkräfte ihm unter den gegenwärtigen Bedingungen einen Heimflug zum vollen Preis verweigert hätten, sondern weil seine äußere Erscheinung im Augenblick sehr gut zur Affenklasse paßte, in der Euroclass jedoch

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