Niemandsland
Sportart es sich handelte. Zehnkampf erwies sich als richtige Antwort, möglicherweise auch Speerwerfen.
»Ach was, Teufel auch, das sagt ihr nur, weil ihr mich für einen Finnen haltet«, lachte Åke Stålhandske glücklich, nicht so sehr wegen der hemmungslosen Bewunderung, die ihm entgegenschlug, sondern weil er etwas so Unmögliches tun konnte und dabei kaum Scham empfand.
Eine strenge Stewardeß erschien und unterbrach die Vorstellung mit der Behauptung, die Herren da draußen hätten sich beschwert.
»Sag diesen Scheißkerlen, sie können sich an die Wand Watschen!« schrie ein Teenager ganz hinten. Damit wurde der Champagnerverkauf eingestellt. Åke Stålhandske mußte sich setzen, sein T-Shirt anziehen und sich die Tränen trocknen, da er vor lauter Lachen und gemischten Gefühlen weinte.
Während der restlichen Flugreise schloß er mit den beiden Dozentinnen der Stockholmer Sporthochschule wie selbstverständlich nähere Bekanntschaft. Am Anfang stand die Frage, ob Zehnkampf die richtige Antwort war.
Er erkannte ihre Sachkenntnis. Wenn nötig, konnten sie sogar die lateinischen Namen jedes einzelnen Körperteils herunterbeten, und folglich würden seine üblichen Märchengeschichten, er habe früher dies oder jenes getrieben, sei aber seit kurzem ein gewöhnlicher Bürohengst, hier nicht überzeugen. Er sagte, er hätte soeben fünf Jahre in den USA studiert und amerikanischen Fußball gespielt. Was ja auch nicht ganz unrichtig war, und die entsprechenden neugierigen Fragen zu diesem Sport konnte er ohne Mühe parieren.
Falls Åke Stålhandske je in seinem Leben eine perfekte Ausgangssituation gehabt hatte, um trotz seines mangelnden Selbstwertgefühls eine Frau kennenzulernen, so wurde sie ihm hier noch dadurch erleichtert, daß eine der beiden Sportdozentinnen verheiratet war und die andere unverlobt.
Sie hieß Anna. Als die Maschine landete, beschlossen sie, sich schon am nächsten Abend zu treffen. Auf dem Weg durch die Paßkontrolle änderten sie ihren Entschluß dahingehend, daß sie sich noch am selben Abend sehen wollten, das heißt gleich vom Flughafen an.
3
Als die ersten Panzerkolonnen auf den Straßen Moskaus in Richtung Innenstadt rasselten und die ersten lokalen Rundfunksendungen bekanntgaben, daß Präsident Michail Sergejewitsch Gorbatschow abgesetzt worden sei, empfanden die zentralen Einheiten beim schwedischen Nachrichtendienst fast so etwas wie Erleichterung, denn seit ungefähr vierundzwanzig Stunden hatten sie fast in einem Zustand der totalen Mobilmachung gelebt.
Alle waren müde und unrasiert und hatten blutunterlaufene Augen. In Samuel Ulfssons Zimmer waberte der Zigarettenrauch wie dichter Nebel.
Jetzt, da der Staatsstreich eine Tatsache war, brauchten sie nicht mehr auf Hochtouren zu laufen. Die beiden schwedischen Spionageflugzeuge, von denen mindestens eines ständig im Luftraum der Ostsee war, konnten zur Basis zurückkehren. Das Funküberwachungsschiff »Orion« wurde nach Südosten befohlen, um wie zuvor den baltischen Raum abzudecken. Die zusätzlich einberufenen Russisch-Dolmetscher und das Funkpersonal wurden entlassen, und wer nach Hause gehen und schlafen wollte, konnte es ungehindert tun.
Spionagesatelliten, »die aus dem Weltraum einen Tischtennisball fotografieren können«, gibt es nicht, und wenn es sie gäbe, würden sie trotzdem Glück mit dem Wetter brauchen. Doch der Himmel über Moskau ist selten oder vielmehr nie so klar wie im Nahen Osten, und selbst »klarer« Himmel über Moskau bedeutet, daß die Sicht der gesamten Region durch eine Kuppel aus Dieselabgasen, Braunkohlenrauch und Schwaden allgemeiner Umweltzerstörung stark herabgesetzt ist.
Entscheidend ist der militärische Funkverkehr, die Fähigkeit, Tausende von Mitteilungen, die gleichzeitig gesendet werden, aufschnappen, dechiffrieren, trennen und vernünftig interpretieren zu können. Keine Invasion, nicht mal die Invasion der eigenen Hauptstadt eines Landes, läßt sich ohne umfassenden Funkverkehr durchführen, und vor vierundzwanzig Stunden waren die Hinweise allmählich deutlicher geworden, um sich dann besorgniserregend zu verdichten.
Luigi Bertoni-Svensson und Göran Karlsson hatten ihre Feuertaufe an den Datenzentralen erhalten, dem eigentlichen Gehirn des Unternehmens. Dorthin wurde alles in einem wilden Durcheinander geschickt, dechiffrierte Nachrichten, fast dechiffrierte und solche im Klartext; je mehr sich die Krise ihrem Höhepunkt näherte, um so häufiger gab es
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