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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Tiger-Lily mir heute nachmittag abstattete. Ich
hatte noch keine Gelegenheit, dir zu antworten, weil Ned hier gleich mit seinen
Selbstauskünften losgelegt hat.«
    Sanderman lief rot an, sagte aber kein
Wort.
    »Mit Lily hatte ich kein allzu nettes
Gespräch«, fuhr Ripinsky fort. »Als wir fertig waren, war sie vielmehr ziemlich
geladen. Was nichts Neues ist. Die Frau hat etwas gegen mich, seit ich die
Avancen, die sie mir nach Julies Tod machte, zurückgewiesen habe. Aber das ist
eine andere Geschichte und gar nicht so interessant. Interessant dagegen ist
die Geschichte, die sie heute nachmittag zu erzählen hatte.«
    »Und?« fragte Sanderman gereizt.
    »Anscheinend ist Lily oben in der Mesa
einigen Dingen nachgegangen. Sie behauptet, daß dort schon seit Wochen Ruhe
herrscht — eine so große Ruhe, daß sie noch nicht einmal Bodenproben genommen
haben konnten. Also beschloß sie, den Dingen nachzugehen. Und was findet sie
heraus? Es gibt gar keine Untersuchungsmannschaft, keine Geologen, nur eine
aufs Nötigste reduzierte Wachtruppe. Und keine Bohrgeräte, keine
Schaufelbagger, keine Lastwagen, nichts.«
    »Dann sind sie eben fertig mit der
Probenentnahme.«
    Ripinsky schüttelte den Kopf. »Das kann
nicht sein. Sie hatten gerade erst angefangen.«
    »Dann haben die Proben eben gezeigt,
daß das Erz nicht gehaltvoll genug war und weitere Tests sich nicht lohnten. In
dem Fall -«
    »Das kann nicht sein. Als ich ihre
kleine Public-Relations-Tour gleich nach dem Erwerb des Grundes mitmachte, hat
ihr leitender Geologe mir erzählt, sie seien todsicher, mit modernen
Schürfmethoden mindestens eine halbe Million Unzen Gold aus der Mesa
herausholen zu können, ehe die Mine ausgebeutet wäre. Das sind bei dem
derzeitigen Goldpreis zwanzig Millionen Dollar brutto.«
    Sanderman stand auf und ging an seinen
Computer. Er holte ein paar Zahlen auf den Schirm und sagte: »Das stimmt.«
    »Na also, ich habe eben auch einen
Computer — mein Gehirn. Jedenfalls versuchte Lily von den Sicherheitsleuten zu
erfahren, was los sei. Aber sie hat nichts herausbekommen. Hat sogar versucht,
einen von ihnen zu bestechen, und zwar mit... ihrem nicht unerheblichen Charme.
Aber nichts zu machen.«
    Wir alle schwiegen eine Zeitlang. Dann
fragte ich: »Warum kriegte sie so eine Wut auf Sie?«
    Er grinste und fuhr sich mit einem
Finger über den schlaffen Schnurrbart. »Lily ist ein bißchen paranoid, und eine
Rassistin ist sie in gewisser Weise auch noch. Anscheinend sind ein paar von
den Wachleuten Chinesen. Also fing sie mit ihrer Theorie von der ›Gelben
Gefahr‹ an — von diesen üblen Asiaten, die uns das Land abnähmen. So ein Gerede
ist einfach der absolute Schwachsinn, und das habe ich ihr auch gesagt. Da ist
sie hochgegangen.«
    »Wie hat sie Sie noch genannt? Einen
Bäumefetischisten?«
    »Unter anderem. Lily haßt
Umweltschützer.«
    »Ich dachte, sie wäre auf Ihrer Seite.«
    »Nicht die Tiger-Lily. Das einzige, was
sie von der Umwelt will, ist Gold. Nachdem sie davon nichts findet, hält sie
sich an Wild und Forellen und Brennholz. Aber sie kümmert sich einen Dreck um
die unberührte Natur oder um die Erhaltung von Promiseville. Wenn sie könnte,
würde sie alle historischen Bauten im Tal abreißen und in ihrem Holzofen
verheizen — bis auf das Haus, in dem sie selbst hockt.«
    »Warum ist sie dann zu Ihnen gekommen?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Weil sie
sonst keinen kannte, an den sie sich wenden konnte. Und hinter ihrer
vorgespiegelten Tapferkeit verbirgt sich ein Stückchen Angst.«
    Anne-Marie klopfte mit einem Stift auf
ihren Tisch. »Was wir brauchen, sind mehr Informationen über Transpacific.«
    Ich fragte: »Wo haben die ihre
Zentrale?«
    »In der City.«
    »Dann kümmere ich mich um sie, wenn ich
wieder dort bin.«
    »Gut.«
    Ripinsky stand auf und reckte seinen
langen, schlanken Körper. »Ich weiß nicht, wie ihr das seht, aber für mich war
es ein langer Tag. Und Miss McCone hat eine lange Fahrt hinter sich.
Wahrscheinlich will sie ins Bett.«
    Ich stand dankbar auf, und Anne-Marie tat
es mir nach. Wir verabredeten uns für den nächsten Morgen, damit ich meine
Pläne vortragen konnte — falls ich bis dahin welche hatte — , und dann gingen
Ripinsky, Anne-Marie und ich zusammen hinaus.
    Als ich wegfuhr, sah ich Sanderman
durch das erleuchtete Fenster des Wohnwagens. Er spielte wieder mal an seinem
Computer.
     
    Ich folgte Anne-Maries Subaru in die
Feriensiedlung und hielt neben ihr am Rand des Wäldchens.

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