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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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ins
Empfangsgebäude bat, trug sie einen pinkfarbenen, gesteppten Bademantel und
Filzpantoffeln. Ihr rundes Gesicht glühte, wohl vom Bourbon, wie ich vermutete.
Am gemauerten Kamin stand eine chintzbezogene Sitzgruppe, davor ein großer
Bildschirm, auf dem nicht nur einer, sondern zwei harte Burschen zu sehen
waren, die an einen Sattelschlepper gelehnt standen. Das Kissen und der Afghan
auf der Sitzbank verrieten mir, daß Anne-Marie recht hatte mit ihrer
Beschreibung, wie Mrs. Wittington ihre Abende verbrachte. Sie führte mich zu
einem Telefon hinter der Rezeption und setzte sich wieder vor ihren Film.
    Ich meldete ein Kreditkartengespräch
mit All Souls an. Daß es so spät war, war auch dort kein Problem: Ted Smalley,
unser Sekretär, ist eine Nachteule und eines dieser so unschätzbaren wie selten
gewordenen Individuen, die ihren Job als eine Vierundzwanzigstundenveranstaltung
ansehen.
    »Hi, Shar«, sagte er, weil er meine
Stimme erkannte. »Wenn du anrufst, um dich nach Ralph und Alice zu erkundigen —
denen geht es gut. Ich bin gegen sechs in deiner Wohnung gewesen, habe sie
hineingetrieben, gefüttert und mit ihnen gespielt. Sie müßten jetzt in der Koje
liegen.« Meine Katzen — genaugenommen noch Kätzchen — hatten ursprünglich einem
Freund von Ted gehört, der an Aids gestorben war. Ted hat ein sehr
besitzerisches Interesse an ihnen, das so weit geht, daß er freiwillig den
Katzensitter spielt, wann immer ich die Stadt verlasse. Er wäre außer sich
gewesen, wenn er gewußt hätte, daß ich kaum einen Gedanken an sie verschwendet
hatte, seit ich sie seinen tüchtigen Händen überlassen hatte.
    »Danke, Ted«, sagte ich. »Ich habe noch
einen anderen Grund, warum ich mich melde: Hat heute abend jemand bei euch
angerufen und nach mir gefragt?«
    »Meinst, ob jemand eine Nachricht
hinterlassen hat?«
    »Nein, richtig nach mir gefragt, etwa
nach meinem Job bei euch.«
    »Ich weiß nicht... Augenblick mal. Vor
einer Weile hat jemand angerufen. Rae hat das erledigt. Ich war auf dem Klo.
He, Rae!«
    Er legte den Hörer mit einem Knall auf
den Tisch, und nach ein paar Sekunden war Rae Kelleher, meine Assistentin, am
Apparat. Wie Ted wohnt und arbeitet sie im Haus unserer Kooperative, einem
großen viktorianischen Bau in den Bernal Heights. »Hi, wie läuft’s?«
    »Soweit ganz gut. Erzähl mir von dem
Anrufer. Hat er einen Namen genannt?«
    »Irgendein Mr. Soundso. Er hat etwas in
den Bart gemurmelt, ich habe es nicht ganz mitbekommen. Ich hätte wohl
nachfragen sollen, aber ich habe vor dem Fernseher gesessen und war abgelenkt.«
    »Was wollte er?«
    »Also, er hat nach dir gefragt, und als
ich ihm sagte, du seist nicht in der Stadt, sagte er, vielleicht könnte ich ihm
helfen. Er wollte nur genau wissen, was du bei uns machst, deine
Berufsbezeichnung, dann könntest du deine neue Discover Card bekommen. Mir kam
es schon seltsam vor, daß er so spät anrief, aber viele dieser
Kreditkartengesellschaften arbeiten ja rund um die Uhr, und ich sah mir, wie
gesagt, gerade Arsenio an. Weil ich weiß, wie wichtig ein
guter Kredit ist, sagte ich ihm, du seist unsere Chefdetektivin.«
    Ich schwieg einen Augenblick. »Wie hat
er sich angehört? Irgend etwas Auffälliges an seiner Stimme?«
    »...Nein. Sie war ganz... normal.« Sie
machte eine Pause. Dann fragte sie: »Shar, habe ich etwas falsch gemacht?«
    »Nein, natürlich nicht.«
    »Da bin ich aber erleichtert. Einen
Moment lang habe ich... Aber du weißt ja, was Willie über guten Kredit sagt.«
    »Ich weiß.« Und wie gut ich das wußte:
Willie Whelan, Raes Freund, ist wohl der Welt herausragendste Autorität in
Defizitfinanzierungsfragen. Seine Ladenkette mit Billigschmuck macht ihn reich,
weil er jedem jederzeit Kredit einräumt — und zwar zu Wucherzinsen. »Hör zu«,
sagte ich, »ich bin spätestens Dienstag zurück. Kannst du bis dahin die
Stellung halten?«
    »Klar. Sie nennen mich schließlich
nicht umsonst ›Nero‹ Kelleher.«
    »Nero?«
    »Nach Nero Wolfe.«
    »Ach ja.« Rae war neuerdings in Krimis
vernarrt und arbeitete sich mit Verve durch die umfangreichen Bestände von All
Souls.
    Ich hängte ein, rief Mrs. Wittington
ein Dankeschön zu und stapfte wieder zu unserer Hütte hinunter. Wie würde Hy
Ripinsky, der angebliche Ex-CIA-Agent, das jetzt genannt haben? Jemanden
enttarnen?
    Bis vor wenigen Augenblicken hatte ich
keine Notwendigkeit gesehen, mich überhaupt zu tarnen. Jetzt fühlte ich mich
ohne Tarnung verwundbar.

4
     
    Ins Stone

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