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Niemandsland

Niemandsland

Titel: Niemandsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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San Francisco rümpfen mag, bin ich doch mit Leib und Seele
ein Kind dieser Stadt, und in gemäßigter städtischer Umgebung geht es mir am
besten.
    Als Anne-Marie und ich uns heute morgen
um halb elf mit Ripinsky im Wohnwagen getroffen hatten — Ned Sanderman war
unerklärlicherweise nicht dagewesen hatte ich ihn nach den Leuten im Tal
gefragt und eine ungefähre Vorstellung davon bekommen, wo ich sie finden würde
und außerdem den Claim des vermißten Goldschürfers Earl Hopwood. Dann rief ich
mir noch einmal ins Gedächtnis, wovon sie vorher gesprochen hatten. Vor allem war
ich an Lily Nickles’ Hinweis auf das Fehlen jeder Aktivität im vorgesehenen
Minenbereich interessiert. Wenn nötig, würde ich selbst hinfahren und mich
umschauen müssen.
    Ich lenkte den MG dorthin, wo einmal
die Hauptstraße von Promiseville gewesen sein mußte, hielt vor einer
ausgebrannten Ruine an und sah auf meinen Plan. Nach Ripinskys Aussage hatte
die Nickles über drei Jahre in einem Haus am Hang unterhalb der Stampfmühle
gehaust. Ich stieg aus und ging zu Fuß weiter. Dabei konnte ich mir nicht
verkneifen, durch die verstaubten Fenster der Häuser zu spähen, an denen ich
vorbeikam.
    Was ich sah, legte sich mir noch mehr
aufs Gemüt, eingebrochene Decken, Tapeten, die in langen Fetzen von den Wänden
hingen, zerborstene Fußbodenbretter, eine im Freien stehende Drehbank. Ripinsky
hatte mir erzählt, daß auch nach den Tagen des Booms viele Bewohner in
Promiseville geblieben waren und sich irgendwie durchgeschlagen hatten, bis in
den späten zwanziger Jahren eine Feuersbrunst den größten Teil der Stadt
zerstört hatte. Danach hatten alle die Flucht ergriffen und nur die Sachen
mitgenommen, die sie tragen konnten und an denen sie besonders hingen. Das
bestätigten auf bejammernswerte Art die Dinge, die in den kleinen Häusern
zurückgeblieben waren: verrostete eiserne Bettstellen; einstmals bunte
Vorhänge, die jetzt in Fetzen an den Fenstern hingen; ein Küchenherd, auf dem
noch eine Bratpfanne über der Feueröffnung stand; von Nagetieren zerfressene
Lehnsessel; der zersprungene Kopf einer Porzellanpuppe.
    Ich ging weiter, stapfte bergauf und
dachte über die Leute von Promiseville nach. Warum waren sie nach dem Ende des
Booms noch so lange geblieben? Das Leben hier mußte äußerst hart gewesen sein,
wenn man an die Schneestürme im Winter und die sengende Hitze im Sommer dachte.
Während in den zwanziger Jahren überall sonst im Land elektrisches Licht,
fließendes Wasser im Haus, Autos und der Stummfilm Selbstverständlichkeiten
gewesen waren, deutete hier nichts darauf hin, daß solcher Fortschritt bis zu
diesem fernen Vorposten vorgedrungen wäre. Aber irgend etwas mußte die Leute
veranlaßt haben zu bleiben — vielleicht Trägheit oder einfach die Tatsache, daß
Promiseville ihre Heimat war.
    Und dann hatte das Feuer der Stadt den
endgültigen vernichtenden Schlag versetzt. Viele Menschen mußten sie
gezwungenermaßen verlassen. Auch wer sein Haus nicht verloren hatte, war mit
ihnen geflohen. Panik und Verzweiflung hatte die Bewohner ergriffen, und die,
die vielleicht hätten bleiben können, Angst vor Isolation und Einsamkeit. Doch
Promiseville war ihnen allen eine Heimat gewesen, und ich fragte mich, ob in
den folgenden Jahren nicht viele ihre überstürzte Flucht aus der Stadt bereut,
ob sie nicht sogar Heimweh bekommen hatten.
    Von Ripinsky wußte ich, daß Lily
Nickles’ Haus das größte am Hang war und eine Vorderveranda mit Blick über das
ganze Tal besaß. Es war leicht zu finden, weil gleich daneben der braune Jeep
parkte. Die Front ging nach Westen, die zusammengefallene Stampfmühle und der
Minenbereich lagen im Rücken. Der Treppenaufgang war mit frischem Holz
ausgebessert worden, das zwischen dem verwitterten Kiefernholz roh wirkte.
Neben der Tür stand ein verfallener Korbschaukelstuhl. Als ich die Stufen zur
Veranda hinaufging, fiel mir in einer Ecke ein Haufen dreckverkrustetes und
rostiges Schürfwerkzeug auf — Hacken, Schaufeln und Pfannen, die wie mein
japanischer Wok aussahen. Ich klopfte an die Tür, bekam aber keine Antwort. Die
Fenster waren mit Sackleinen verhängt, so daß ich nicht hineinschauen konnte.
    Wenn die Nickles nicht zu Hause sei,
hatte Ripinsky gesagt, würde ich sie wahrscheinlich beim Schürfen finden, eine
halbe Meile weiter nördlich, wo der Bach einen scharfen Bogen um ein Feld von
Findlingen mache. Ich sah mir von der Veranda aus das Terrain genauer an und
beschloß,

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