Niemandsland
Scheiß drauf. Mit Ihnen bin
ich seit Jahren fertig.« Sie wandte sich an mich. »Er kommt doch nicht etwa mit
uns?«
»Nein. Sie können mit mir fahren.«
»Und morgen in aller Frühe bringen Sie
mich zu meinem Jeep?«
»Ja.«
Sie gähnte ausgiebig. »Gut, ich könnte
tatsächlich eine Mütze voll Schlaf gebrauchen.«
Lily holte sich ihre Jacke vom Rand der
Tanzfläche, wo sie sie abgelegt hatte, und wir gingen zu meinem Wagen. Ripinsky
blieb im Restaurant und gab mir ein Zeichen, daß wir uns später treffen würden.
Es war kurz vor Mitternacht. Der Parkplatz war leer und die Leuchtschrift auf
dem Dach ausgeschaltet.
»Nichts fegt eine Szene schneller leer
als ein guter Mord«, sagte Lily, und sie hörte sich jetzt schon vergnügter an.
Ich zog es vor, nicht zu antworten, und
schloß ihr nur die Beifahrertür meines MG auf. Offenbar hatte sie das Gefühl,
daß ich ihre Bemerkung für geschmacklos hielt — jedenfalls sprach sie kein Wort
mehr, bis wir zur Feriensiedlung kamen. Dann sagte sie: »Rose wird ganz schön
sauer reagieren, wenn sie mich sieht.«
»Wieso?«
»Sie hat ihren Mann dabei erwischt, wie
er vor ein paar Jahren mit mir herumgemacht hat, kurz bevor er starb.
Wahrscheinlich gibt sie mir die Schuld an dem Schlaganfall, wegen der
Aufregung.«
Ich machte mir keine allzu großen
Sorgen darüber, wie Rose Wittington sie wohl empfangen würde. Lilys sexuelle
Eskapaden kamen mir langsam vor wie so viele andere Tratschgeschichten, die ich
kannte.
Wir gingen in den Gemeinschaftsraum.
Anne-Marie und Rose saßen vor einem großen Bildschirm und folgten Peter Lorres
ängstlichen Blicken. Lily Nickles in meinem Schlepptau zu sehen, überraschte
sie. Aber als ich ihnen den Fall erklärte, stand Rose fuchtelnd und gackernd
auf und drückte sie tröstend an ihren ausladenden Busen. Sie führte sie hinaus
und schnatterte dazu, der Willow Room sei für sie hergerichtet und ob sie nicht
ein heißes Bad wolle oder vielleicht ein schönes Glas warme Milch, bevor sie sich
hinlege? Lily sah mich ängstlich und bittend über die Schulter an, aber ich
lächelte ihr bloß fröhlich gute Nacht zu. Wenn sie tatsächlich mit Roses
verstorbenem Ehemann herumgemacht hatte, dann mußte sie diese herzhafte Dosis
rächender Bemutterung einfach schlucken.
Anne-Marie stand auf und wollte etwas
sagen, da steckte Ripinsky den Kopf durch die Tür. »Alles klar?«
»Ja.« An Anne-Marie gewandt, fügte ich
hinzu: »Laß uns unten in unserer Hütte reden. Und wir sollten auch Ned wecken —
ich nehme an, er schläft schon.«
»Oh, wahrscheinlich schon seit Stunden.
Ned geht immer früh ins Bett.«
»Dann macht es ihm ja wohl nichts aus,
auch wieder früh aufzustehen.«
Sie ging, um Sanderman zu holen, und
Ripinsky und ich stiegen schweigend zur Hütte hinunter. Unter den Bäumen war es
sehr dunkel. Am Seeufer sah ich die Umrisse der Weiden, die ihre langen Zweige
in das brackige Wasser hängen ließen. Über uns raschelte es, und ein Vogel
stieß einen wehklagenden Schrei aus. Ich schreckte zusammen und streifte
Ripinsky. Er legte mir die Hand auf die Schulter.
»Dem Ruf nach ein Tannenhäher«, sagte
er.
»Fühlt sich einsam.«
»Wahrscheinlich. Tannenhäher mögen
Menschen.«
Oben auf der Veranda blieben wir einen
Moment lang mit dem Rücken zur Tür stehen und sahen auf den dunklen See. Der
Mond war jetzt fast untergegangen. Im Schein eines roten Warnlichts am Ende der
Anlegestelle sah man, wie das Wasser sich leicht kräuselte.
»Sie sind gern hier, nicht wahr?« sagte
ich.
Er zuckte mit den Schultern. »Es ist
mein Zuhause.«
»Aber es bedeutet Ihnen noch mehr.«
»Woher kennen Sie mich so genau?« In
seiner Stimme schwang leichter Ärger mit, aber als ich nicht antwortete, lenkte
er ein. »Ja, es ist noch eine Menge mehr. Ich habe lange dazu gebraucht, bis
ich mir darüber klar war. Ich war noch ein Kind, als ich las, was Mark Twain
über die Gegend um den Mono Lake geschrieben hat, und das traf sogar doppelt
auf den Tufa Lake zu: ›Eine leblose, schauderhafte, baumlose Wüste..., wild,
düster und schlimme Ahnungen hervorrufend..., man denkt an Unfruchtbarkeit und
Tod.‹«
»Twain hatte unrecht. Er hatte kein
Auge für die Schönheit der Gegend. Und so, wie er den Mono Lake geschildert
hat, wird er wohl kaum noch ein zweites Mal hierhergekommen sein.«
»Nein, aber seine Worte sind mir
einfach nicht aus dem Sinn gegangen. Ich habe jahrelang davon geträumt, Vernon
zu verlassen, und schließlich habe ich es
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