Niemandsland
löste meinen Blick von dem Toten.
»Was haben Sie gefunden?«
»Ein verstecktes Fach in seiner
Geldbörse. Noch ein Ausweis.«
»Wessen?«
Er sah mich an. Im verlöschenden Schein
des Streichholzes zwischen meinen Fingern sah ich seine Verblüffung.
»Bittet, und ihr werdet erhört werden«,
sagte er. »Darf ich vorstellen? Mr. Franklin Tarbeaux.«
6
Die beiden Polizeibeamten aus dem
Sheriffbüro des Mono County in Bridgeport hießen Dwight Gifford und Kristen
Lark. Gifford war ein schweigsamer Mann von Mitte Dreißig, der aussah, als
betriebe er Bodybuilding und der seinen frühzeitigen Kahlkopf mit seinem
schweineborstigen Schnurrbart zu kompensieren schien. Kristen Lark war jünger —
Ende Zwanzig — und verfügte über eine unglaubliche nervöse Energie. Ihre
schlanke Gestalt war dauernd rastlos in Bewegung. Wenn sie sprach, nahm sie
sich kaum Zeit zum Atmen. Ihre blonden Locken sahen aus, als wären sie
elektrisch aufgeladen. Sogar die Sommersprossen auf ihrer Stupsnase wirkten,
als wollten sie sich im nächsten Augenblick zu neuen Mustern ordnen. Zuerst
dachte ich, die beiden paßten überhaupt nicht zusammen. Aber als ich ihnen bei
ihrer Arbeit zusah, merkte ich, daß sie ein perfektes Team waren.
Nach dem Urteil des Gerichtsmediziners
war Michael M. Erickson alias Franklin Tarbeaux mit zwei Schüssen in die Brust
getötet worden. Die Kugeln stammten aus einer kleinkalibrigen Waffe und waren
aus nächster Nähe abgefeuert worden. Die Todeszeit konnte er noch nicht genau
schätzen, aber er stellte fest, daß die Leiche nicht sehr lange im See gelegen
habe. »Und sie wurde auch nicht von weither angeschwemmt«, fügte er hinzu. »Die
Strömung reicht nicht aus, auch nicht nachts, wenn der Wind zunimmt.« Während
die Spurensicherung den Landesteg unter Flutlicht setzte, kämpften sich die
beiden Polizeibeamten, Ripinsky und ich durch die Menge, die von Hilfssheriffs
auf dem Balkon zurückgehalten wurde, und gingen ins Restaurant.
Die Musiker hatten eine Zwangspause
eingelegt, und der Speise- und Tanzsaal hatte sich geleert. Die Lounge war noch
voller Durstiger, die durch die Fenster verfolgten, was unten vor sich ging.
Der Besitzer — Bob Zelda, ein rundlicher kleiner Mann, der mich nicht im
geringsten an jene Fitzgerald-Figur erinnerte, an die ich zuerst ein wenig
gedacht hatte — hatte Lily Nickles und ihrem Tanzpartner Asyl in seinem Büro
gewährt. Gifford ging zu ihnen, um ihnen seine Fragen zu stellen. Ripinsky und
ich unterhielten uns mit Kristen Lark an einem Tisch in einer Ecke des
Speisesaals.
Sie stellte gute Fragen, kam jedesmal
auf den Punkt. Während der Befragung gelang es ihr auch, ihre sonst so nervöse
Unruhe unter Kontrolle zu halten. Sie hörte gut zu, ging auf Nuancen ein und
hakte nach, wenn nötig. Als Hy ihr von dem zweiten Ausweis erzählte, den der
Tote bei sich gehabt hatte, und von Franklin Tarbeaux’ Beziehung zur
Transpacific und deren Landerwerb, machte sie sich sorgfältig Notizen. Dann sah
sie mich an.
»Sie sind aus beruflichen Gründen
hier?«
»Ja.«
»Sie arbeiten für wen?«
»Für die Coalition, eine
Umweltschutzorganisation.« Ich berichtete ihr von den Ereignissen, deretwegen
Anne-Marie mich hergebeten hatte, und auch von den Dingen, die seit meiner
Ankunft hier passiert waren.
»Diese Einbrüche«, fragte Kristen Lark,
»wurden die uns gemeldet?«
»Nicht der von letzter Nacht. Es wurde
nichts entwendet, und nach dem Anruf in meinem Büro war ja klar, hinter was der
Einbrecher her war.«
Hy sagte: »Die Einbrüche bei mir zu
Hause und in die Wohnwagen der Coalition haben Hilfssheriffs aufgenommen. Was
in der Feriensiedlung war, weiß ich nicht.«
Kristen Lark machte ein nachdenkliches
Gesicht und klopfte mit den Fingern auf die Tischplatte. »Meiner Meinung nach«,
sagte sie nach einer Weile, »gibt es eine Verbindung zwischen diesem Erickson
oder Tarbeaux und den Einbrüchen. Er kann es auch gewesen sein, der mit dem
Geländewagen zwischen den Tufas herumgefahren ist. Einer meiner Hilfssheriffs
hat einen Bronco in der Gegend am Straßenrand gefunden. Den Papieren nach war
er vier Tage zuvor in Modesto unter dem Namen Tarbeaux gemietet worden.« Sie
hob die Hand, bevor einer von uns etwas sagen konnte. »So stelle ich mir das
vor. Aber solche Vorstellungen können gefährlich sein.«
Sie sah uns an. »In einem County wie
diesem mit geringer Bevölkerung neigt man dazu, Verbrechen Außenseitern
anzuhängen. Aber das entspricht nicht
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